piwik no script img

Im HipHop-Pfadfinderlager

■ Spanische Gitarren und Reggaeklänge. Der ideale Sommer-Soundtrack für den See: Laß die Sonne rein! – Freudeskreis und Afrob brachten die Columbiahalle zum Hüpfen

„Wenn der Vorhang fällt, sieh hinter die Kulissen“, rappen Freundeskreis. Dann fällt der Vorhang, und hinter ihnen kommt die Band zum Vorschein, mit Gitarristen, Schlagzeuger und allem Drum und Dran. Hübscher Effekt. In Sachen Entertainment haben Max, Don Philippe und DJ Friction dazugelernt. Unterstützt von Afrob, schlägt der erweiterte Freundeskreis den Bogen von R 'n' B bis Dancehall-Reggae. Längst legen sie ihr Ohr nicht mehr nur auf die Schienen der Geschichte, sondern nahe an den Puls ihres Publikums. Und das will lieber Party als Politik. Oder zumindest beides im gleichen Maße. Freundeskreis sind weltläufiger geworden, entspannter auch, einfach lockerer. Wahrscheinlich haben sie sich von den „ANNA“-Tantiemen endlich mal einen ausgiebigen Urlaub gönnen können. Auf dem neuen Album jedenfalls hört man mehr spanische Gitarren und Reggaeklänge als auf dem Vorgänger. Der ideale Sommer-Soundtrack für den Baggersee: Laß die Sonne rein! Beim Auftritt in der Columbiahalle glich die Atmosphäre denn auch der eines HipHop-Pfadfinderlagers: Schon am Eingang dicke Kräuterschwaden, drinnen trotz Enge kein Geschubse, sondern freundliche Gelassenheit und gutgelaunte Gesichter rundum. Freundeskreis haben ihr Fanpublikum an den Gymnasien dieser Republik, und das ist gut erzogen. Ganz wie die Stuttgarter Oberschüler selbst, der Traum jedes linken Leistungskurslehrers: Sie wälzen streberhaft Bewegungsgeschichte, werfen mit Fremdwörtern wie „Kolchose“ und „Revolution“ um sich und rappen in Englisch, Latein und neuerdings sogar in Esperanto. Doch gerade weil die Schlaumeier straight out of Schulaula zu stammen scheinen, sind ihnen die Sympathien aller braven Schulbankdrükker sicher. Und die sind zuhauf gekommen, mehr noch als zur ebenso vorbildhaften HipHop-Queen Lauryn Hill zwei Tage zuvor. Vielleicht lag es am Preis-Leistungs-Verhältnis? Drei Stunden Musik zum halben Preis einer Lauryn Hill, das ist nicht nur für Schwaben ein schlagendes Argument. Das Freundeskreis-Konzert jedenfalls geriet zu einer alternativen HipHop-Abiturfeier, die ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, als Rapper Max seine Duettpartnerin Deborah beim Song „Mit Dir“ verschämt in die Arme nimmt und einen Stehblues andeutet. Wenig später haben Freundeskreis die Halle endgültig zum Hüpfen gebracht. Da verzeiht man ihnen auch Platitüden wie „Wenn der Vorhang fällt, sieh hinter die Kulissen, die Bösen sind oft gut und die Guten sind gerissen“. Denn Freudeskreis sind gut. Und gerissen. Daniel Bax

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen