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Eine Zukunft mit Traugott  ■   Von Susanne Fischer

Liebe Gemeinde! Kirche ist wie eine große Obstschüssel, in der auch der gammelige Apfel seinen Platz hat. Ja, auch du wirst gebraucht! Ohne dich geht es nicht! Und falls du schon seit Jahren dieser schwiemeligen Angelegenheit den Rücken gedreht hast, wartet immer noch „Pastor Traugott Giesen“ mit seiner allsonnabendlichen Bekehrpredigt in der Hamburger Morgenpost auf dich.

„Pastor Traugott Giesen“ ist Protestant, und zwar heftig. Das sind die, wo alle durcheinander glauben dürfen und keiner mehr Latein kann. Die mit dem direkten Draht nach oben! Da fällt es natürlich schwer, sich noch etwas auszudenken, warum die Leute in das Haus mit dem hohen Turm kommen sollen und am Ende sogar noch Geld dafür bezahlen.

„Pastor Traugott Giesen“ ist modern wie alle Protestanten. Wahrscheinlich hat er als Vikar Beat-Gottesdienste organisiert und später Zigaretten für den Frieden geraucht. Das zieht aber heute nicht mehr; das mit dem Frieden schon gleich gar nicht. Inzwischen wird ja längst wieder das Kriegsglück gesegnet. Da muß man anders ranklotzen: „Kirche ist der gute Ort im Quartier, wo Lebensmut zu holen ist. Die Corporate Identity eines jeden ist da verbrieft“, weiß „Pastor Traugott Giesen“. Und schlimmer: Er weiß es nicht nur, er sagt es auch. Vielleicht vermietet er seine Kirche heimlich für Managementseminare. Jesus ist ein echt cooler Salesmanager für unsere Topseller Seelenheil und äh – Dings ... Liebe, ja Liebe. Denn „Jesus und seine Auferstehung ist Codewort für offene Zukunft“. Ja ja. Der Heilige Geist ist das Internet der Gemeinde. Der Herrgott die digitale Reinschaffe plus spirituellem Mehrwert. Kann man so etwas dichten, ohne vorher neun Glas Köm zu trinken?

Aber es ist ja nicht gedichtet, es ist „Meine Meinung“ bzw. „Pastor Traugott Giesen“ seine Meinung. Und wenn Herr Pastor geruhen, eine Meinung zu haben, dann müssen es – wie immer – andere Leute ausbaden. „Ein guter Nachbar sein, entschuldigen, zum Besten kehren, in Arbeit bringen, zuhören, wahrnehmen“ droht Pastor Traugott Giesen, sonst geht die Corporate Identity in die Grütze. Da kann man die ganze Kirche in den Klump beten, ohne Arbeit hilft das nichts. Wie sich „zuhören, wahrnehmen“ mit der ihm eigenen Geschwätzigkeit vertragen soll, sagt er nicht. Da müßte er ja vielleicht auch mal nachdenken.

Wahrscheinlich ist es aber doch eher so, daß die anderen zuhören sollen. Dafür ist er ja schließlich „Pastor Traugott Giesen“ geworden, um ungestört quasseln zu können. „Kirche braucht ganz wenig feste Zeremonien“, schwätzt er weiter, denn die würden ja von seiner Predigtzeit abgehen, „Kirche braucht ganz viel“ – Traugott? Nein, doch nicht – „ganz viel Schwungkraft, es gut zu machen“.

Was, das verrät er nicht. Es geht ja auch mehr um das Leben im ganzen und in der Nachbarschaft und in der Ohrabkauerei. „Zukunft ohne Kirche“ wimmert unser Zeitungshirte, was wäre das? Endlich Ruhe? Kein Almauftriebsgeläute mehr am Sonntagmorgen? Falsch geraten. „Zukunft ohne Kirche – das wäre wohl nur Zeitbrei und fidele Resignation.“ Also wenn ich die Wahl hätte zwischen Meinungsmus und Zeitbrei, ich würde letzteres wählen, obwohl ich keine Ahnung habe, was das sein soll. Vielleicht gerade deswegen.

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