piwik no script img

Jelzins letzter Gefolgsmann

Duma bestätigt Sergej Stepaschin als Premier. Außer der haßerfüllten Beziehung zwischen Kreml und Parlament stand seiner Wahl nichts im Wege  ■   Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Die Geschichte ist diesmal schnell erzählt. Das russische Parlament gab dem von Präsident Jelzin designierten Premierminister Sergej Stepaschin gestern in rasender Eile seinen Segen. Bereits eine Stunde vor dem anberaumten Termin nahm die Duma den offenen Wahlgang vor, der insgesamt 27 Sekunden dauerte. Nicht weniger überraschte die Einmütigkeit, mit der die Parlamentarier Jelzins letzten treuen Gefolgsmann im Amt bestätigten. Von 362 Anwesenden stimmten 297 für und lediglich 55 gegen den neuen Mann im Weißen Haus.

Am Wochenende hatten die Kommunisten eine schwere Niederlage einstecken müssen, als das von ihnen initiierte Amtsenthebungsverfahren gegen Boris Jelzin in der Duma nicht die erhoffte Zweidrittelmehrheit erhielt. Seither zittert die kommunistische Opposition wie Espenlaub vor einem drohenden Racheakt des senilen Kremlzaren. Außer der haßerfüllten Beziehung zwischen Präsident und Legislative stand der Wahl des 47jährigen Juristen von seiten der Kommunisten nicht viel im Wege. Als ehemaliger Chef des Geheimdienstes FSB und des Innenministeriums gehört Stepaschin zu jenem Schlag von Leuten, denen sich die Kommunisten besonders verbunden fühlen.

In seiner Einführungsrede vor der Duma versuchte Stepaschin, Gerüchten den Boden zu entziehen, Boris Jelzin hätte ihn auserkoren, um ein autoritäres Regime einzuführen: „Ich bin nicht Pinochet, mein Name ist Stepaschin“, scherzte er. Ein Orientierungsgespräch mit dem alten Kabinett eröffnete er mit den Worten: „Wer die Hand zu meiner Unterstützung erhoben hat, möge sie runterlassen – und von der Wand zurücktreten.“ Das Umfeld prägt den Humor.

Entscheidende personelle Änderungen in der Regierungsmannschaft sind nicht zu erwarten. Aber wird Stepaschin einen Kurswechsel einleiten ? Und sich der drängenden wirtschaftspolitischen Fragen bis zu den Duma-Wahlen im Dezember annehmen ? Bisher hat er sich dazu nur sehr knapp geäußert. Förderung der heimischen Industrie und sozialpolitische Fragen stünden in seiner Agenda ganz oben. Das muß jeder Kandidat versprechen, um den Zuspruch der Opposition zu erhalten. Ernster steht es dann schon um die Ankündigung, die Voraussetzungen für die Vergabe eines neuen Kredites durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu schaffen. Vorgänger Jewgenij Primakow hatte schon erfolgreich mit dem IWF verhandelt, der allerdings als Vorbedingung einige Gesetzesänderungen verlangt, unter anderem einen neuen Steuerkodex. Bisher hat sich die Duma geweigert, die Auflagen zu erfüllen.

Stepaschin hätte – vorausgesetzt, er meint es wirklich ernst – gute Chancen, die Gesetze diesmal durch die Duma zu peitschen. Die Legislative fürchtet nämlich nichts mehr als die vorzeitige Auflösung und die Ausschreibung von Neuwahlen. Von wo aus sollten die Volksvertreter ihren Wahlkampf führen, wenn nicht von der Tribüne des Parlaments und aus ihren Duma-Büros ? Diese stecken indes in einer Zwickmühle. Verweigern sie die Zustimmung, kann der Premier die Vertrauensfrage stellen. Wählen sie die Regierung ab, löst der Präsident die Duma auf. Das gleiche gilt, sollten sie sich der Vertrauensfrage nicht stellen wollen. Nach sieben Tagen muß der Präsident dann die Duma oder das Kabinett nach Hause schicken. Kommentar Seite 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen