Täglich Murphy statt Krieg

■ Die taz im Museum, jetzt: Das KITO zeigt von TOM „Touches“ und anderen Unsinn, schwarzweiß und kunterbunt

Alle halbe Stunde fährt der vbn für 3.70 Mark (“Sie fahren ja noch mit der alten 3.60-Fahrkarte. Das nächste Mal zahlen Sie mir 60 Mark Strafe“) nach Vegesack. Nur alle heiligen Lichtjahre, also Sonntag mittags, wird dieses steinerne Gesetz gebrochen. Just bei jenem Zug, der die taz-Lokalredaktion pünktlich zur TOM-Eröffnung im KITO verfrachten sollte. Scheiße, denkt sich der ungebildete Mensch. „Nein, Murphys Gesetz“, korrigiert TOM. Es besagt, daß die Realität zu wenig in Leibniz' Theodicee geschmöckert hat und sich deshalb immer für die schlechteste aller Möglichkeiten entscheidet; zu überprüfen an der Supermarktkasse, wo man sich prinzipiell an der langsamsten Schlange mit den querulantischsten, zeitverzögerndsten Käufern anstellt; oder beim regelmäßigen Eintreten von GAUs (größte anzunehmende Unfälle), die niemand für möglich hielt. Tschnobyl. Kosovo.

Synchronschwimmer sind beneidenswerte Geschöpfe. TOM ist kein Synchronschwimmer. Doch er hat das Zeug zum Synchronen. Schließlich malte er für etwa fünfzig VernissagenbesucherInnen knollennasige Männchen auf Plakate, Bücher, ja, selbst auf 1-Mark-50-Postkarten, während er von Murphys Gesetz erzählte – mit allergrößter Ruhe und Sanftmut.

Seit 1990 macht er sich für die taz beharrlich auf die Suche nach Manifestationen dieses Gesetzes. Denn er unterliegt ihm selbst immer wieder. Zum eigenen Leidwesen, das der Überhöhung/Sublimierung durch den Comic bedarf. Zum Beispiel, sagt er, daß er nicht nur Comics liebt, sondern auch echte, wahre Kunst, es aber trotzdem niemals nie schaffe, ins Museum zu gehen, nicht einmal bei 24-Stunden-Rundumöffnungszeiten. Klarer Fall – wir haben hier einen Mann vor uns, der sein Politologiestudium zwei Scheine vor Ende abgebrochen hat. Wie so viele Menschen, die nichts können, landete er zwangsläufig bei der taz – ein winzigkleines Jährchen nach Verfertigung seines ersten Cartoons. Ein Vorbild für alle Tellerwäscher und sonstwie Gescheiterten. Heute sitzt er zusammen mit anderen Journalisten in einem Berliner Büro und würgt sich jeden Tag seinen taz-Strip aus der Birne. Deadline ist 11 Uhr vormittags. Weil er da aber noch schläft (“Kannst Du schreiben, weiß sowieso jeder.“) zeichnet er am Abend zuvor. Meist braucht er zwei bis drei Stunden, manchmal grübelt er aber auch stundenlang das leere, verzweifelte Papier an. Dann spaziert er ein wenig durch Kreuzberg. „Da entdeckt man immer irgendwas.“ Der Alltag ist sein bester Ideengeber für Schwimmbad-, Post-, Kasperltheater- und Schuleserien. Und so marschiert TOM hellwach und neugierig noch durch den blödsten Every-day-life-Dschungel. Vielleicht das gewinnendste an seinem Job.

Vor sieben Wochen mutierte die Wahrheitsseite zum kriegerischen Pazifismuspamphlet. Selbst aus der Gurke des Tages wurde eine Gurke des Krieges. Nur TOM blieb TOM. Denn „politische Karikaturen haben eine kurze Haltbarkeit“, und TOM will für die Ewigkeit schaffen. Allerdings schätzt er Pluralismus und Vielstimmigkeit der taz-Kosovoberichterstattung, inklusive dem grobschlächtigen Antiamerikanismus der Wahrheitsseite. „Seit Einführen der Wahrheitsseite wurde sie von Teilen der taz-Redaktion heftigst bekriegt. Seit uns aber letztes Jahr eine Leserumfrage zur beliebtesten taz-Seite gekürt hat, herrscht Ruhe.“ bk

Bis 12. Juni im KITO