: Plastiken für eine Plastikgesellschaft
■ Wenn Strichmännchen den Raum erobern: Sämtliche Bronzeplastiken A.R. Pencks im Gerhard-Marcks-Haus
„Phänomenologie besteht im Grunde aus dem Einvernehmen einer bestimmten Einstellung den Dingen gegenüber. Man klammert dabei so gut wie möglich alles vorangegangene Wissen über die Dinge aus (vor allem das wissenschaftliche), und versucht, sie so unvoreingenommen wie möglich zu Wort kommen zu lassen. Sollte dies einigermaßen gelingen, sollten die Dinge etwas von ihrem Wesen erblicken lassen, dann kann das ausgeklammerte Wissen wieder ins Spiel gebracht werden.“
(Eröffnungsrede von Vilem Flusser zum „Steirischen Herbst 1990“ aus: „Nomadologie der Neunziger“, Cantz Verlag, 1995 Ostfildern)
Die Zukunft ist ein unbekanntes Land, meine Damen und Herren. Kunst ist längst verschlissen, und wenn jemand Kultur sagt, wird sofort die Brieftasche gezückt. Die sogenannte Post-Moderne hat ausgespielt, und ihre Fans sind außer Atem. Was haben sie nicht alles für tot erklärt: Kunst, Geschichte, Vernunft, Rockmusik, den lieben Gott und Humanismus sowieso. „Schmock-Apokalyptiker“ hat der große Matt Groening, Vater der „Simpsons“, sie getauft. Der simple Strich dieser Cartoon-Serie (täglich zum Feierabend um 18.30 Uhr auf pro7) ist ein universeller Code, der sich als harmlose Zeichentrickserie verkleidet hat und auf den Nasen derer herumtanzt, die sich dem posthumanistischen Nervenkitzel ihrer Endzeit-Visionen verschrieben haben.
Auch A.R. Penck, 1939 in Dresden geboren, macht humanistische Strichmännchen, allerdings haben seine eher archäologischen Charakter. Wie Groening ist er ein Gegner jener 5-vor-12-Mentalität, die immer wichtig, immer geschäftig tut, doch die Kategorie des Wesentlichen längst abgeschafft hat.
Pencks „Standart“-Bilder, inspiriert von der intensiven Auseinandersetzungen mit künstlicher Intelligenz und Informationstheorien, folgen ihren eigenen Codes. Das krude Vokabular der Bildsprache verbreitet sich wie ein Virus durch das Gesamtwerk des bekennenden Science Fiction-Fans Penck, der nebenbei in einer Punkband die Schlagfelle malträtiert. Das Gerhard-Marcks-Haus zeigt erstmals eine umfassende Retrospektive seiner Bronzeskulpturen. Und siehe da: Die Transformation von der Zwei- in die Dreidimensionalität erweckt Pencks selbstplagierende, thesenhafte Tapetenwände zu neuem Leben. So trifft sich also eine verschworene Gemeinschaft geheimnisvoller organischer Figuren, die ihren eigenen Mythos abzustrahlen scheinen.
Mitte der Achtziger begann Penck damit, Holzskulpturen in Bronze zu gießen und sich mit kleinen „Bronze-Editionen“ ganz bewußt auf den Konsum-Diskurs einzulassen. Irgendwann ging er dazu über, auch Dosen, Ziegelsteine, pickelübersähte Betonklumpen oder was sich sonst gerade anfand mit einzugießen. „Die Zukunft der Soldaten“ heißt eine der großen Skulpturen, an deren Fuß zwei mahnende Flaschen eingeflossen sind. Viele der Titel beanspruchen unmittelbaren Gesellschaftsbezug. Ein schlichter Phallushaufen heißt einfach „Star Wars“, und man möchte schon ein bißchen grinsen. Und so beschäftigt sich ein Essay vom Kurator Arie Hartog im begleitenden Katalog mit den ironischen Aspekten der Skulpturen. Weil aber Penck Ironie in seinen Arbeiten partout nicht erkennen wollte/konnte, nannte Hartog seinen Text kurzerhand „Ironische Plastiken gibt es nicht“.
„Ein Modell sollte vor allem kinderfreundlich sein und so auch einen didaktischen Sinn haben“ wird der Künstler an anderer Stelle zitiert. Große Aussagen und simple Formen. Kinderfreundlich ist immer toll, aber den Kids fällt bei Star Wars inzwischen nicht mehr Ronald Reagan sondern „Teil 4, voll das geile Videospiel“ ein. Penck möchte provozieren, wo man heute bestenfalls noch mißverstanden werden kann.
Wenn er für das „Denkmal für Tel Aviv“ u.a. einen Videorecorder in Bronze gießt, eine Plastik von 1987 „Antiatomkraft Grün-Grün-Grün“ oder eine Statue von 1994 den „Anti-Lenin“ nennt, so sind die Titel nicht schwieriger zu verstehen als die Refrains der meisten Deutschpunk-Songs. Aber leider können komplexe Themen nicht einfach auf drei Akkorde oder eine handvoll Bronze reduziert werden. Penck kommt mit vielen seiner Arbeiten nicht weit über das Bekenntnis zum Widerstand hinaus. Na, vielleicht möchte er ja auch nur den Umgang mit komplexen Themen in der Informationsgesellschaft kommentieren und anprangern.
Seine Skulpturen erinnern an die mahnenden Überreste einer ausgelöschten Kultur, verbrannt, halb zerstört. Zeugen aus der Zukunft einer kybernetisch verbesserten Gesellschaft. Es könnte jetzt auch die Rede von Totems und Icons sein, die eine kollektive Erinnerung bewahren.
Kultur wird nur noch simuliert, so lautet eine populäre These. Cyborgs sitzen in den Talkshows und führen Diskussionen, die keine sind. Joschka Fischer führt Krieg, Gorbatschow macht Werbung für Pizza Hut, und der Papst läßt seine nächste Tour von einem Auto-Hersteller sponsoren. Umschalten auf „Verona's Weltkrieg“ während gespenstische Flüchtlinge in Europa umgehen. Täglich prasseln mehr Realitäten aus den Medien auf uns runter als wir verarbeiten können. Da macht das kybernetische Vokabular schnell schlapp. Penck ist trotzdem ein guter Mann, wenn er auch nicht lustig sein will. Er ist halt selbst längst ein Icon in der Suchmaschine der Unterhaltungsgesellschaft und wäre ein perfekter Gaststar bei den „Simpsons“.
Tommy Blank
Bis 18. Juli
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