Ein Senator stürzt Regierung in Den Haag

■  An Hans Wiegels „Nein“ scheitert ein Gesetzesentwurf über die Zulassung von Volksabstimmungen. Über die Gründe rätseln selbst seine Parteifreunde. Nun steht möglicherweise eine Koalition ohne D 66 bevor

Berlin (taz) – Ein einziger Volksvertreter hat es geschafft, den politischen Alltag in den Niederlanden gründlich aufzumischen. Hans Wiegel, rechtsliberaler Senator in Hollands Erster Kammer, stürzte am Mittwoch mit seinem klaren Nein zum Gesetzentwurf über die Zulassung von Volksbefragungen die Regierung von Ministerpräsident Wim Kok.

Retten, was noch zu retten ist, lautet seither die Devise in Den Haag. Zwei der drei Regierungsparteien, die Sozialdemokraten (PvdA) Wim Koks und die Rechtsliberalen (VVD), wollen nach dem Rücktritt vom Mittwoch alles unternehmen, um Neuwahlen zu verhindern und die Arbeit weiterzuführen – notfalls auch ohne den kleinen Koalitionspartner D 66. Nachdem Premier Kok am Mittwoch wegen der gescheiterten Verfassungsänderung den Rücktritt seiner Regierung angeboten hatte, empfing Königin Beatrix gestern die Präsidenten des Staatsrats und die Vorsitzenden der beiden Kammern des Parlaments, um die Möglichkeiten einer Lösung der Regierungskrise zu erörtern.

Bei den Konsultationen unter Vorsitz der Monarchin, die im günstigsten Fall heute zu Ende gehen, haben die „adviseurs“ drei Möglichkeiten: Wiederherstellung der Dreierkoalition aus PvdA, VVD und D 66; eine Koalition aus PvdA und VVD, die auch ohne D 66 über eine Mehrheit im Parlament verfügt; oder eben vorgezogene Neuwahlen, die spätestens im September stattfinden würden.

Auslöser der Krise war Hans Wiegel. Seine Stimme fehlte der seit fünf Jahren erfolgreichen „lila Koalition“ von Wim Kok für die Zweidrittelmehrheit. Im Grunde versteht keiner, was den VVD-Politiker Wiegel geritten hat, der am Mittwoch mit seinem Nein zum Gesetzentwurf, einer Herzensangelegenheit der Linksliberalen, die Regierung zum Rücktritt zwang – nicht mal die eigenen Parteifreunde. Der Vorsitzende der Ersten Kammer, Korthals Altes, warf seinem Senatskollegen Wiegel Prinzipienreiterei vor. „Er hätte es nicht auf die Spitze treiben dürfen“, sagte Altes. „Als Politiker muß man wissen, was man der Partei schuldig ist. Du bist, wer du bist, durch die Partei. Und die VVD wollte es nicht zu dieser Regierungskrise kommen lassen.“

Wiegel selbst nahm die heftigen Reaktionen gelassen hin. Der Politiker, Ehrenmitglied der VVD, der ähnlich prinzipiell agiert bei den Themen Abtreibung und Sterbehilfe, wettert seit über 30 Jahren gegen Volksbefragungen als Mittel der demokratischen Einflußnahme. „Für D 66 ist das natürlich unangenehm. Aber es gibt Wichtigeres als Weiterregieren.“ Henk Raijer