Der Mann für alles wird lockerer

■ Bei Manchester United, die heute im Pokalfinale Teil zwei des Triples ansteuern, fühlt sich Manager Alex Ferguson gar für die Toiletten zuständig

Manchester (taz) – Es war drei Uhr in der Nacht seines bisher größten Triumphes, und was hat Alex Ferguson gemacht? Er hat gearbeitet. Die Morgenzeitungen, die Ende April die Nachricht von Manchester Uniteds 3:2-Sieg über Juventus Turin im Halbfinale der Champions League verbreiteten, waren noch nicht ausgeliefert, da beschäftigte sich der Trainer des Englischen Meisters schon mit dem Finalgegner. „Gleich als ich aus Turin kam, vom Flughafen nach Hause, habe ich den Videorecorder angemacht und die Aufzeichnung von Bayern Münchens Halbfinale studiert“, erzählt er. Um drei Uhr nachts? „Die beste Zeit, sie zu beobachten.“ Wenn auch von den Deutschen dann nichts Neues zu sehen ist: „Die haben wie immer alles in Manndekkung genommen, was sich über die Mittellinie traute.“

Am Morgen danach war er wieder um acht in seinem Büro. Alex Ferguson ist inzwischen 57, aber Zielstrebigkeit und Entschlossenheit sind noch immer die Wörter, die am häufigsten mit ihm in Verbindung gebracht werden. Es ist sein 13. Jahr bei United. Das allein ist eine Leistung, vielleicht seine größte. Auch andere Trainer haben einen ganzen Klub über Jahre geprägt, Otto Rehhagel einst Werder Bremen, Brian Clough damals Nottingham Forest, Guy Roux noch heute AJ Auxerre in Frankreich, aber das sind mittelgroße Klubs in ruhigen Regionen. United ist der größte Fußballklub der Welt, 412 Festangestellte, 261 Millionen Mark Jahresumsatz, eigener Fernsehsender, zwölfmal Englischer Meister, fünfmal davon mit Ferguson, drei nationale Cup-Siege, der vierte soll am heutigen Samstag gegen Newcastle folgen. Jeden Tag Trubel, jedes Spiel Triumph oder Weltuntergang. Hier 13 Jahre durchhalten? Die Bayern hatten in dieser Zeit zehn Trainer.

Taggart nennen die Spieler Ferguson heimlich, nach einem kauzigen Polizisten aus einer Fernsehserie. Wenn er will, kann er immer noch ein Tyrann sein, auch wenn es heißt, Ferguson sei lockerer geworden; er selbst sieht das zumindest so. Doch zu oft wird vergessen, daß Ferguson nur die Spieler abserviert, die sich nicht seiner Arbeitsethik unterwerfen. Denen, die folgen, gewährt er unendliche Loyalität. Als Roy Keane, sein Mannschaftskapitän, am Montag nach dem neuerlichen Titelgewinn wegen einer Auseinandersetzung in einer Bar verhaftet wurde, verkündete Ferguson, Keane sei unschuldig. Die Fakten waren noch nicht geklärt, vermutlich war es Ferguson egal, daß er sich als Lügner entpuppen könnte.

Gerne erzählt Ferguson, der im Glasgower Arbeiterviertel Govan groß wurde, von seinem ersten Trainerjob, mit 32 beim schottischen Zweitligisten East Stirling. Acht Feldspieler und keinen Torwart hatte er, als er anfing, und dann, erinnert sich der damalige Klubchef Willie Muirhead, „hat Ferguson meinen Urlaub ruiniert, als er mich anrief und mitteilte, er habe einen tollen Stürmer für 2.000 Pfund verpflichtet. Das war unser ganzes Budget.“ Später fuhr Ferguson durch den Ort und schrie ins Megaphon, die Leute sollten ins Stadion kommen. Diese Erfahrungen hätten ihn geprägt, sagt er.

Seine Trainingslehre wirkt im Vergleich zu Trainern wie Arsene Wenger von Arsenal London bodenständig, seine Taktik ist simpel, starr und seit 25 Jahren dieselbe: vier in der Abwehr, vier im Mittelfeld mit zwei starken Flügelläufern, auf die hat er immer größten Wert gelegt, damit die zwei Stürmer mit Flanken versorgt sind. Es ist kein besonderes Programm. Aber er hat es geschafft, seine Spieler restlos dafür einzunehmen. Einer wie Mittelfeldmann David Beckham spielt in seiner Freizeit den Popstar, steht Modell für Magazine, aber in Old Trafford ist er nichts anderes als ein kleiner Ferguson: bis zum äußersten hart gegen sich selbst und die Außenwelt. „Wir alle sind Spiegelbilder unseres Trainers“, sagt Verteidiger Gary Neville.

Doch Ferguson kann auch lachen über die eigene Besessenheit. Hier eine Anekdote, die er mit Freude erzählt: Beim FC St. Mirren, seinem zweiten Klub, stürzte plötzlich ein Klubangestellter in die Umkleidekabine. Brav hielt der sich an Fergusons Regel, daß er, der Trainer, über alles informiert sein müsse. „Mister Ferguson“, sagte der Mann, „kommen Sie bitte, die Toiletten funktionieren nicht.“ Ronald Reng