: Pränatal, klerikal, ikearegal, piu, piu, piu
■ Der sanfte „HardChor“ aus Heidelberg sang, scherzte und sang scherzend schlechtes Liedgut im vollen Schlachthof
Wenn man die hundert Schlüsselbegriffe sammeln würde, die das Urdeutsche repräsentieren, dann wären „Männerchor“ und „Heidelberg“ bestimmt unter den am meisten genannten, „Selbstironie“ und „Witz“ dagegen sicher nicht. Die 17 Mitglieder des Heidelberger „HardChor“ versuchen schon seit zehn Jahren, das Urdeutsche mit einem eher britischen Humor zu verbinden. Nicht umsonst versprechen sie auf ihren Plakaten „a capella & comedy“. Eindeutig sind britische Ensembles wie die „King's Singers“ als Vorbilder auszumachen, und während sie das kreuzdeutschromantische „In einem kühlen Grunde“ nur parodistisch verfremdet singen (können!?), bleibt John Lennons „Imagine“ natürlich von jedem Scherz verschont.
Der Grundton des Abends wurde am Freitag im Schlachthof schon mit dem ersten Special Effekt gesetzt, denn mit dem Vangelis-Hit „Conquest of paradise“ auf den Lippen marschierten die Chorsänger in Boxershorts und Badetuch gewandet auf die Bühne. Auch wenn sie sich dann bald vor aller Augen in feine Hose, Hemd, Fliege und Smoking zwängten, wußte das Publikum immer, was darunter steckte! Acht Bässe und acht Tenöre, dazu der Chorleiter und Dirigent Bernhard Bentgens, der als Conférencier auch die meisten Witze riß, präsentierten eine bis auf die letzte Pointe durchkalkulierte Bühnen-show. So genau eingeprobt wie die Chorarrangements waren auch die Texte und ironischen Brüche in den Liedern. Manchmal wirkten die Miniaturen schon zu hübsch gedrechselt, denn nicht jedes Chormitglied hatte die Bühnenpräsenz von Bentgens, und da jeder mal nach vorne ans Mikro durfte, wirkten einige allzu eifrig bei ihren einstudierten Pointen. Aber ansonsten war die Show sehr geschickt ausbalanciert zwischen präzise gesungenen Chorstücken und den komischen Geschichten, die um sie herum erzählt wurden.
„Männerschicksale IV“ wollten sie in ihrer vierten Bühnenshow besingen, dabei schilderten sie das maskuline Dilemma in der pränatalen, klerikalen, kommunalen, ikea-regalen und immer wieder in der choralen Phase. Da reimt sich dann Zölibat auf Ejakulat, und in dem eingedeutschten Jazzklassiker „Nacht in Tunesien“ treibt ein „Animateur aus Tunesien“ sein Unwesen. Musikalisch war das alles auf höchstem Niveau, wie es sich halt für einen ordentlichen Männerchor gehört, und oft war die Fallhöhe zwischen dem trivialen Liedchen und dem klassischen Arrangement der größte Witz. So etwa bei Peter Maffays unsäglichem „Und es war Sommer“ (“Piu, Piu, Piu“) oder einer tränentreibenden Version von „Mama“.
Ein Tenor mit dem gleichen Schnurrbart wie Freddy Mercury durfte den Queensong „Another one bites the dust“ parodieren, aber eine noch viel bessere Idee war es, den schüchternsten Chorknaben mit wringenden Händen ausgerechnet „Kiss“ von Prince singen zu lassen.
Zum Schluß stellte sich heraus, warum der Chor, der sonst gerade noch bis Dortmund singt, sich so tief in den Norden wagte (wo doch kaum das Zielpublikum für Spitzen gegen die katholische Kirche oder Spott-Loblieder auf Heidelberg zu vermuten sind). Denn in Bremen gibt es mit Walter Poll einen local-chor-hero, der mit seinem gemischten „Chor don Bleu“ eindeutig in die Fußstapfen des „HardChor“ tritt. Bei den Zugaben machte dann auch sein Bremer Chor mit, und plötzlich stand ein beträchtlicher Teil des Publikums auf der Bühne. Kein Wunder also, daß der Schlachthof so voll war, aber der stürmische Beifall konnte nicht nur von einheimischen SängerInnen, deren Familienmitgliedern und anderen Claqueuren kommen.
Wilfried Hippen
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