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Heilungen im Kunstbetrieb

■ Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses: In der Daadgalerie versammelt der Engländer Steven Wilks über dreißig Künstler für sein therapeutisches „City Pity“-Projekt

An dem Tag, als seine Schwester starb, arbeitete der Mexikaner Fernando Palma Rodriguez in der Werkstatt seines Vaters. Er machte Schmetterlinge. Aus dem bunten Blech von Softdrinkdosen schnitt er Flügel und Fühler, über die sich Logos und Schriftzeichen wie Muster zogen, und fügte sie zu fragilen Geschöpfen zusammen. Eines von ihnen gab er seiner Schwester zur Begleitung mit ins Grab. Jahre später wurde sein Vater an der selben Stelle bestattet. Beim Ausheben der Grube fand sich nichts mehr, außer einem metallenen Falter. Heute ist Rodriguez Künstler, ein „Nomadic Engineer“, wie er sich selbst bezeichnet. Die Blechschmetterlinge seiner Kindheit sind zu totemistischen Schutzgeistern geworden, die, von miniaturhaften Robotern bewegt, über dem Parkettfußboden der Daadgalerie vibrieren.

Die Installation von Rodriguez ist Teil des internationalen Projekts „City Pity 2“. Der englische Daad-Stipendiat Steven Wilks hat es, gemeinsam mit über dreißig befreundeten Künstler, nach der Brüsseler Variante „City Pity 1“ nun in Berlin realisiert. Wilks eigene Fotoarbeiten zeigen Insektenschwärme, die sich wie verstreute Nadeln über Marzahner Hochhausfronten legen; oder die klaren Konturen eines weggeworfenen Kühlschranks, die im Schnee ausgelöscht werden. Er schildert die Durchdringung urbaner Strukturen durch die Kräfte der Natur. Der von Wilks geprägte Begriff „City Pity“ impliziert, Städte hätten Charakter und Persönlichkeit, denen man Gefühle entgegenbringen könne, wie einem Menschen. Das hat nichts mit „Stadtmitleid“ zu tun. Es soll keine „geheilten“ Städte geben. Im Gegenteil. Gemeint ist das Bedauern (“pity“) eines Nomaden für die grundsätzlich falsche und zerstörerische Lebensweise des urbanisierten „weißen Mannes“.

Die beseelte und erduldende Natur, die sich in Wilks Bildern kaum merklich ihren Platz zurückerobert, findet ihre Analogie in der Freiheitsbewegung der amerikanischen Indianerfeldzüge zwischen 1860 und 1890. „Auch wir sind die Vergessenen“, schreibt Rodriguez über seine Roboter. Für ihn sind sie „Spirits“, Geister der Vorfahren, Dragging Canoe oder Raging Bull. Und wie sie fordert er sein „Land ein“.

Steven Wilks hat auf die übliche One-man-Show, die jedem Daad-Stipendiaten zum Ende seines Berlinaufenthalts zusteht, verzichtet. Er hat statt dessen in den Räumen der Daadgalerie einen Stammes-Claim abgesteckt – das ist seine eigentliche Abschlußarbeit. „City Pity“ ist mehr als das Label einer Ausstellungsreihe. Es ist der Name eines Künstlerstammes, der sich um einen Kern von Eingeweihten sammelt. Wilks hat die Rituale des Kunstbetriebs durch eigene Initiationsriten ersetzt. Basierend auf indianischem Schamanismus und den Vorgaben postkonzeptueller Kunst zieht der Stamm nomadisch durch das globale Netz von Galerien und Institutionen. Er vergrößert sich ständig, indem er andere Künstler und Mitarbeiter schrittweise einreiht und sie an sich bindet.

Wilks nennt das „Verführung“. Nur ein Teil der bei „City Pity 2“ mitwirkenden Künstler ist eingeweiht, auch nicht der Daad. Einen Kurator gibt es nicht. Es erstaunt dabei nicht, daß kein Pressetext existiert und die Website der Ausstellung (http://www.thing.de/city.pity) zwar alle möglichen Links zu anderen Sites anbietet, aber keine weiteren Informationen zugänglich macht. Auch in der Ausstellung finden sich nur vereinzelt mit Bleistift an die Wand geschriebene Angaben zu Künstlern und Arbeiten. „City Pity“ will nicht kommunizieren, das Projekt ist sich selbst genug.

Unangenehm daran ist allerdings die Arroganz, mit der sich die Initiatoren auf ihre Rituale verlassen. Die Ausstellung ist ein Recyclinghof für die Ideen unserer Ahnen. Zwischen Komposthaufen, Mülltütenskulpturen und an die Wand geschriebenen Gedichten erscheinen die Gebote alternativer Kultur wie der Geist der Lenorfrau. Du sollst recyclen! Du sollst dich selbst finden! Du sollst ein Kräuterbeet anlegen! Wer so richtig davon angekotzt ist, knetet die Wabbelfiguren auf Ivonne Dröge Wendels Brettspiel oder sieht sich den von Adam Nankervis frisch gebrandeten Knackarsch an. „City Pity“ ist ein als Kunst verpacktes New-Age-Reservat, ein therapeutischer Workshop für Künstler, die, so Wilks „zuerst mal Zeit für sich brauchen“. Die Schlacht am Wounded Knee ist verloren. Der weiße Mann hat gewonnen. „Be free“, murmelt der H.I.S.-Jeans-Indianer. „Fuck you“ klingt es aus einem Mückenschwarm. Oliver Koerner von Gustorf

Bis 27. 6., tgl. 12.30 – 19 Uhr, Daadgalerie, Kurfürstenstraße 58

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