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Korsika-Ermittlungen bekommen Flügel

■ Frankreichs Antiterrorabteilung schreitet zu Festnahmen, nachdem der inhaftierte Bonnet mit Enthüllungen drohte

Paris (taz) – Die Champagnerkorken im Pariser Innenministerium knallten bereits am Sonntag abend. Da feierte Minister Jean-Pierre Chevènement zusammen mit ein paar Chefpolizisten den langersehnten und von einem Teil der französischen Öffentlichkeit kaum noch für möglich gehaltenen Fahndungserfolg gegen ein mutmaßliches Mordkommando aus Korsika. Kurz zuvor hatten drei seit dem Wochenende inhaftierte Männer Geständnisse abgelegt. Darin belasten sie sich selbst und andere radikale Nationalisten, am 6. Februar des vergangenen Jahres den Präfekten Claude Erignac ermordet zu haben.

Der damalige höchste Vertreter von Paris auf der Insel, Erignac, war an jenem Abend auf offener Straße in Ajaccio mit drei Schüssen in den Hinterkopf aus direkter Nähe ermordet worden. Die Tatwaffe war wenige Monate zuvor in einer korsischen Gendarmeriestation gestohlen worden. Der Täter, ein nicht maskierter, schlanker blonder Mann, der von mehreren Passanten beschrieben wurde, konnte ungehindert entkommen.

Die Inselbevölkerung, die den ermordeten Präfekten Erignac mehrheitlich sehr schätzte, reagierte mit einer der größten Demonstrationen der korsischen Geschichte und der Forderung nach Aufklärung der Tat. Viele ahnten, daß eine Normalisierung der Verhältnisse auf der Insel von einer Aufklärung der Tat abhing. Doch statt den erwarteten schnellen Fahndungserfolg zu liefern, machten die Ermittler die Korsen insgesamt zu Verdächtigen.

15 Monate lang beschäftigte die Mordaffäre verschiedene Justiz- und Polizeistellen auf der Insel und in Paris. Sie ermittelten in nicht koordinierter, gelegentlich sogar konkurrierender Form und behinderten sich dabei immer wieder gegenseitig. Hunderte von „Verdächtigen“ wurden verhaftet. Zunehmend klagten Insulaner über einen „antikorsischen Rassismus“. Zuletzt machte sogar die Behauptung, der Mordauftrag sei „aus einer Pariser Spitzenverwaltung“ gekommen, die Runde.

Auch der Nachfolger des ermordeten Präfekten, der inzwischen wegen der polizeilichen Brandstiftung an einem Strandrestaurant selbst inhaftierte Bernard Bonnet, beteiligte sich an der Mördersuche, zu der ihn niemand autorisiert hatte. Im vergangenen Herbst hatte ihm ein Informant eine Spur zu den mutmaßlichen Mördern gesteckt. Bonnet leitete diese Hinweise nach Paris weiter. Von den dortigen Antiterrorrichtern kam jedoch keine Reaktion.

Bis jetzt, da Bonnet im Gefängnis sitzt und seine Verantwortung für die Brandstiftung hartnäckig leugnet. Seit er in der vergangenen Woche „Enthüllungen“ über den Mord an seinem Vorgänger androhte, bekam die Sache Flügel. Just als Bonnet beim Verhör vor dem Untersuchungsrichter saß, schritt die Antiterrorabteilung zu den Verhaftungen.

Von den sechs Hauptverdächtigen sitzen gegenwärtig fünf in Haft. Die Männer haben sich offenbar durch ihren intensiven Handygebrauch vor und nach dem Präfektenmord verraten. Es sind Nationalisten zwischen Mitte 30 und Mitte 50, vornehmlich aus dem bäuerlichen Milieu. Alle sind langjährige und bekannte „Militante“ des FLNC-Canal historique, der letzten verbliebenen bewaffneten Organisation auf Korsika, deren politischer Arm auch im Regionalparlament in Ajaccio vertreten ist. Sie sollen aus Enttäuschung über den FLNC eine neue Kampforganisation namens „Anonymes“ gegründet haben, der die Ermittler neben dem Präfektenmord auch Bombenattentate in Straßburg und Vichy vorwerfen. Mit der gewälttätigen Zuspitzung sollen die „Anonymes“ laut Pariser Justizbehörden beabsichtigt haben, den bewaffneten Kampf für eine korsische Unabhängigkeit erneut anzuheizen.

Seit dem Wochenende suchen die Ermittler nur noch nach einem Mitglied des Kommandos der „Anonymes“. Der angebliche Todesschütze, ein Hirte aus einem zentralkorsischen Bergmassiv, befand sich gestern auf der Flucht. Ganz Frankreich verfolgte gestern die Jagd nach ihm live in den Medien. Sein Vater flehte ihn öffentlich an, sich zu stellen.

Dorothea Hahn

Ganz Frankreich verfolgt die Jagd nach dem mutmaßlichen Todesschützen bei einem Anschlag im vergangenen Jahr

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