Jelzin weist den neuen Premier in die Schranken

■ Statt Stepaschins Wunschkandidat wird der reformorientierte Finanzminister Sadornow zum zweiten Vizepremier befördert. Er soll sich jetzt auch um Makroökonomie kümmern

Moskau (taz) – Schon seit dem Wochenende weilt Präsident Boris Jelzin in Sotschi, wo er sich von den Strapazen des innenpolitischen Wirbels erholt, den er in den letzten zwei Wochen selbst verursacht hatte. Erst entließ er Premierminister Jewgenij Primakow, danach versuchte die kommunistische Opposition, Jelzin durch ein Amtsenthebungsverfahren manövrierunfähig zu machen. Der Coup scheiterte, statt dessen gelang es Jelzin, die Fäden wieder in die Hand zu nehmen. Dem neuen Premier Sergej Stepaschin wird nachgesagt, das Wort seines Herrn ohne Wenn und Aber zu erfüllen.

Nach Gesprächen Stepaschins mit Jelzin in Sotschi trifft dieses Bild nicht mehr vollends zu. Wäre es nach dem neuen Premier gegangen, hätte Alexander Schukow den Posten des zweiten Vizepremiers erhalten. Dessen Aufgabe sollte es sein, die Makroökonomie unter seine Fittiche zu nehmen. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses der Duma, Schukow, gehört zu den gemäßigteren Kräften des Parlaments. Zudem verfügt er über einen guten Draht zu Finanzminister Michael Sadornow. Doch es war Sadornow, der gestern neben Nikolai Aksenjenko zum zweiten Vizepremier befördert und mit der Ökonomie betraut wurde. Bevor Sadornow Minister wurde, war er Mitglied der reformorientierten Fraktion Jabloko.

Mit der Kandidatur Schukows wollte Stepaschin Vizepremier Nikolai Aksenjenko einen gleichwertigen Mann als Gegengewicht zur Seite stellen. Denn der Vizepremier und ehemalige Transportminister Aksenjenko dient den Interessen Boris Beresowskis, eines der sieben Oligarchen, die Jelzins Wiederwahl 1996 finanzierten und seither großen Einfluß auf den Kreml ausüben. Die Rubelkrise im August überstand Beresowski mit weniger Blessuren als der Rest der Oligarchenriege.

Für die Oligarchen steht viel auf dem Spiel. Ohne einen entscheidenden Lobbyisten in der Regierung drohten die staatlichen Finanzströme an ihnen vorbeizufließen und sie in ihren Schulden zu ersticken. Präsident Jelzin ließ sich auf den Wunsch Stepaschins, Schukow zu ernennen, nicht ein. Damit konnten sie einen Etappensieg erringen. Das bekannte Muster Jelzinscher Politikführung schimmert wieder durch: Er schafft eine Machtbalance, die ihm nicht gefährlich werden kann. Politikgestaltung ist zweitrangig. Klaus-Helge Donath