: Bilderstürmer im Beat
Das Bristoler Duo Lamb und Roni Sizes neues Projekt Breakbeat Era streben etwas über ambitioniert nach neuen Popformeln und gültigen Zeitdiagnosen ■ Von Holger in't Veld
Endlich wollen wir wissen, in welcher Zeit wir leben. Nicht die House Decade, nicht die Eclectic Years, Postmodern Times oder Retro Days. Es ist die Breakbeat Era und sie funktioniert als Pop – eine ebenso anmaßende wie wohlgewählte Behauptung einer über das eigene Modell hinaus gültigen Definition.
Gemeinschaft hat der Mann, auf dem hier der mediale Scheinwerfer liegt, schon einmal beschworen. Doch Reprazent, der Name für das Kollektiv um Roni Size, stand hauptsächlich als Beschwörung geheimen Wissens und innerer Geschlossenheit im Full Cycle, wie sein Label heißt. Deren Kreuzzug für bessere Musik trug entscheidend dazu bei, das ungeliebte Genre Drum'n' Bass zu sprengen, indem statt musikalische Gebote zu verfeinern Grenzen überschritten und Bezüge geöffnet wurden. Daß von eben diesen bilderstürmenden Menschen jetzt terminologische Verbindlichkeiten gesetzt werden, geht folglich nur in Zusammenhang mit dem strukturellen beigeschmacklosen Begriff, der Drum'n'Bass transzendiert und damit vom musikalischen Stigma der „Realness“ befreit.
Breakbeat benennt nicht mehr als einen – wie auch immer gearteten – nicht-linearen Umgang mit Rhythmus, funktioniert wie Funk als Meta-Genre und damit auch als adäquater Überbegriff einer musikalischen Zeit, in der zwar auch die gerade Bassdrum eine Tanzflur-Renaissance erlebt, ansonsten aber der Fallout von Shut Up & Dance und A Guy Called Gerald in nahezu jeder Pop-Produktion zumindest molekular nachweisbar ist.
Lamb, das Projekt von Lou Rhodes und Andy Barlow, muß dazu nicht seziert werden. Ob Takt, Passage oder ganzes Stück – hier wird gebrochen und verstolpert, als gelte es, Bestwerte für den komplexesten, trotzdem noch als Pop erkenntlichen Song zu setzen. Unter dem angenehm selbstironischen Titel Fear Of Fours versucht sich das Duo aus Manchester mit seiner zweiten Platte am großen Befreiungsschlag aus der musikalischen und szenischen Verortbarkeit. Dabei klingt es, als gelte ihre Furcht weniger dem 4/4 Takt als der künstlerischen Klammer aus Moloko und Portishead, in der das Team aus männlicher Technik und weiblicher Stimme beständig positioniert werden.
Woran auch die Stimme von Lou Rhodes schuld ist: ein Bastard aus der spröden Zickigkeit von Roisin Murphy und Beth Gibbons' fliehender Klage. Musikalisch addiert sich allerdings ein Element, das in beiden benannten Querbezügen nicht vorkommt. Progression heißt für Lamb elektro-akustische Verstreutheit, vertrackte Funkismen und Jazz mit Improvisations-Charme. Daraus erstellen sie Stücke mit extrem hoher musikalischer Dichte und Interessantheit, deren hörbare Überambition auf Dauer allerdings ermüdet.
So sieht es auch bei den ersten Äußerungen von Breakbeat Era aus. In diesem Projekt sind Roni Size und DJ Die nur Ausführende, Stimme und Initiative kommt von Leonie Laws, einer bis dato unbeschriebenen Sängerin aus – natürlich – Bristol. Wie Lamb strebt auch dieses Trio zu neuen Pop-Formeln, die sich gegen leichtes Hören sperren: die Breaks etwas zu gesetzt, die Frequenzen etwas zu schrill, die Stimme etwas zu theatralisch. Individualistischer Ausdruck beziehungsweise künstlerische Ehre ist allen Beteiligten sicher. Ob Breakbeat Era dem namentlichen Anspruch gemäß über die inoffizielle Internetsite der Bristol-Szene hinaus zum Mothership ihrer eigenen Zeitrechnung werden, ist dieser Sprache noch nicht eingeschrieben.
Mi, 2. Juni, 21 Uhr, Mojo
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