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Ganz Indien trauert um Tendulkar Senior

■ Während des Weltcups richtet Südasien sein Hauptaugenmark auf Cricket – und den indischen Weltklassespieler Sachin Tendulkar

Delhi (taz) – Die Mutter hatte es so gewollt. Kaum hatte Sachin Tendulkar seinen Vater begraben, flog er wieder nach Bristol zurück, um im Match gegen Kenia die indische Ehre zu retten. Mitten in die erste Runde des Cricket-Weltcups war die Nachricht vom Tod vonTendulkar Senior geplatzt. Und Sachin sofort nach Bombay zurückgeflogen. Ganz Indien trauerte – auch, weil ohne ihn Indiens Chancen gegen Null sanken. Doch von der Mutter angespornt, stand er, kaum aus dem Flugzeug gestiegen, seinen Mann. Mit 140 Runs stellte er vergangenen Sonntag nicht nur einen Weltcup-Rekord auf; er gab mit diesem ersten Sieg über den Tabellenletzten Kenia seinem Land die kleine Chance zurück, mit weiteren Siegen gegen Titelverteidiger Sri Lanka und Gastgeber England doch noch in die „Super Six“ betitelte Zwischenrunde vorzurücken.

Seither überschlagen sich die Zeitungen in Dankbarkeit vor dem trauernden Helden. Der indische Subkontinent spielt sowieso mal wider cricketverrückt. Die inoffizielle Weltmeisterschaft in der Ein-Tag-Version des noblen Sports sorgt in den vier Cricket spielenden Ländern Südasiens für beispiellose Aufregung.

Über die Hälfte der erwarteten zwei Milliarden Fernsehzuschauer verbringen nun bis zum Finale am 20. Juni acht Stunden vor der Leinwand und leben nach dem Coca-Cola-Slogan: Eat Cricket, sleep Cricket, drink ... In allen großen Städten stehen riesige Leinwände bereit –- in Jaipur füllt eine den Raum zwischen Pfeilern und Brücke einer nachgemachten Tower Bridge aus.

Cricket konnte sich in seinem Geburtsland England nie von seiner elitären Assoziation lösen und wird als Werbeträger verschmäht. Auf dem Subkontinent dagegen jagen Slumkinder dem Ball nach, und Sachin Tendulkar gehört mit einem Jahreseinkommen von 15 Millionen Dollar zu den bestverdienenden Sportlern der Welt. Dabei sind weder Indien noch Bangladesh oder Sri Lanka titelreif – und selbst Pakistan gilt bloß als gefährlicher Außenseiter, obwohl man derzeit die Gruppe B anführt. Das freilich ist den Fans egal. Cricket ist zwar ein Teamsport, aber einer, in dem individuelle Spieler den Ausgang eines Spiels bestimmen können. So hat Indien heuer einen mittelmäßigen Kader, aber es hat im kleingewachsenen Sachin einen genialen Spieler. Das Match gegen Kenia entschied er im Alleingang. Tendulkar zierte sogardas Titelbild von Time.

Das subtile Verständnis für das Können eines Spielers verhindert, daß Cricket ganz von nationalen Passionen vereinnahmt wird. Tendulkar ist auch in Pakistan ein Held, ebenso wie Wasim Akram in Indien einer ist. Die Wettbüros gehören neben den Werbagenturen und den TV-Gesellschaften zu den Großverdienern dieses Weltcups. Der Handel floriert, obwohl er illegal ist. Die Restaurants installieren Leinwände, die Speisen tragen die Namen von Spielern. Ein Restaurant in Ahmedabad liefert seinen Gästen Tomaten und Eier – aus Schaumstoff –, mit denen sie bei Bedarf den Bildschirm beschießen können.

Sonst blickt die Wirtschaft allerdings einem schlechten Monat entgegen – kein Wunder, wenn selbst der Finanzminister erklärt, ein Sieg im Weltcup sei ihm wichtiger als der Gewinn der bevorstehenden Parlamentswahlen. Ein Geschäft in Bangalore mußte letzte Woche eine Sendung zurücknehmen, weil sie der Besteller in Bombay abgelehnt hatte – niemand geht während des Weltcups auf Shopping-Tour. Auch in den Fabrikhallen wird bis Juni vor allem in der Nähe des Transistorradios gearbeitet – wenn überhaupt. Dagegen können sich viele Hindu-Tempel nicht beklagen. In Städten und Dörfern wurden Opferrituale durchgeführt, damit die Götter Sachin vor Verletzung schützen. Für einen Monat sticht er auch den Olymp aus. Ein Schriftbanner über den Zuschauern des ersten Matches verkündete: „Cricket ist unsere Religion. Sachin ist unser Gott.“ Bernard Imhasly

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