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Im gelobten Land

Steht Bruce drauf – ist auch Bruce drin: Das Berliner Konzert von Bruce Springsteen in der Parkbühne Wuhlheide  ■   Von Matti Lieske

Es dauert wahrlich nicht lange, bis Bruce Springsteen sein Publikum im Griff hat. Schon beim zweiten Stück sind die 20.000, wo sie an diesem Abend hingeführt werden wollen. Dort, wo die Hunde auf der Hauptstraße heulen, wo Fabrikpfeifen trillern, wo man sich im Feld „hinter dem Dynamo“ trifft oder auch an der Ecke der Stadt, und wo junge muskelbepackte Kerle in klapprigen selbstgebastelten Autos auf Klapperschlangenpisten durch die Wüste von Utah fegen. Kurz und gut: im gelobten Land. Eine Welt weißer Proletarier, die fünf Tage ackern und am Wochenende die Sau rauslassen, die entweder Cop werden oder kriminell, die in den Krieg ziehen, sich in der Tretmühle des Alltags abstrampeln, von Liebe, Glück und Abenteuer träumen und am Ende doch meist die Dummen sind: die Springsteen-Welt.

Der steht mit aufgekrempelten Ärmeln auf der Parkbühne Wuhlheide im östlichen Berlin, grinst breit und malocht Musik. Unbeirrt verkörpert er den Gewerkschaftsboß des Rock 'n' Roll, bodenständig, integer und vital, auch als Multimillionär noch ein echter Freund des kleinen Mannes. „Promised Land“, „Hungry Heart“, „Born to Run“, „Badlands“, müßig, alle Songs aufzuzählen, die er spielt. Es reicht zu sagen: Er spielt fast alles. Das Programm ist kaum anders als vor 20 Jahren, ebenso das Publikum – wenn man davon absieht, daß die realsozialistisch sozialisierten unter jenen Menschen, welche an diesem Abend das Amphitheater komplett ausfüllen, erst vor zehn Jahren bei seinem legendären Vorwendekonzert in der Hauptstadt der DDR Gelegenheit hatten, Springsteen leibhaftig am Werk zu sehen. Junge Gesichter sind Mangelware, junge Lieder auch. Aus dem Rahmen fällt lediglich das akustische „Ghost of Tom Joad“ und von selbigem Album das dynamisch elektrifizierte und mit besonderem Engagement vorgetragene „Youngstown“, ein musikalischer Höhepunkt des Abends.

Ansonsten wurzelt Springsteen tief im Vorgestern. Während andere Künstler seiner Generation wie Neil Young mit seiner Affinität zum Grunge, Bob Dylan mit seinem letzten Chartbuster „Time out of Mind“ und selbst die Rolling Stones einen gewissen Anschluß an die Gegenwart geschafft haben, ist Springsteen das leibhaftige Rockmuseum. Alles klingt wie früher, selbst wenn es gar nicht von früher ist. Eine CD mit neuen Stücken, so heißt es, will er mit der E-Street-Band einspielen. Er sollte es sich sparen, denn niemand wird es kaufen. Neue Fans gibt es nicht und den alten reichen die Klassiker im Schrank, mit denen er auch das Konzert bestreitet.

Nach wie vor läßt sich Springsteen nicht lumpen. Drei satte Stunden ohne Pause, schon immer besaß der Mann aus New Jersey den Arbeitsethos eines stachanowistischen Bibers. Die aus allen Himmelsrichtungen zusammengeklaubte originale E-Street-Band hält wacker mit. Nils Lofgren ist da und spielt eine wunderbare Steelguitar, Steve van Zandt trägt immer noch sein verwegenes Kopftuch – mittlerweile muß man vermuten, weil keine Haare mehr drunter sind – und auch Springsteen-Gattin Patti Scialfa ist dabei. Sie lächelt meist lieb und manchmal ein wenig verschämt, so als sei es ihr nach all den Jahren peinlich, auf einer Bühne zu stehen und die Klampfe zu schlagen. Auch sonst ist alles da: Die Stücke, die immer weitergehen, obwohl sie längst zu Ende sein müßten, die hundertfach wiederholten Akkordfolgen, die Intensität und Energie suggerieren sollen, die in die Songs gequatschten Monologe, die modern waren, als es noch keinen Rap gab, die gute Laune und der Schweiß. Springsteen entstammt einer Zeit, in der Rockmusik gerackert wurde und am Ende Künstler und Publikum gleichermaßen groggy waren.

Das funktioniert immer noch. Die alten Ohrwürmer haben nichts von ihrer Wucht eingebüßt, und als Bruce Springsteen schließlich in die gute alte „Thunder Road“ einbiegt, ist es sogar dunkel geworden, so daß endlich die mitgebrachten Wunderkerzen zum Einsatz kommen können. Solchermaßen antiquiert illuminiert endet ein Konzert, das bei dem begeistert nach Zugaben tobenden Publikum kaum einen Wunsch offen läßt. Steht Bruce drauf – ist Bruce drin. Was will man mehr?

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