: Grundrechte jetzt auch europaweit
Die Europäische Union schafft sich eine Grundrechtecharta. Das ist ein eher symbolischer Akt, der aber in Zukunft noch an Wichtigkeit gewinnen kann. Doch einige Mitglieder fürchten den „Staat EU“ ■ Von Christian Rath
Freiburg (taz) – Beim Gipfel der Europäischen Union (EU) am 3. und 4. Juni in Köln soll der Startschuß für die Entwicklung einer EU-Grundrechtecharta fallen. Damit würde ein wichtiges Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verwirklicht. Noch immer fehlt nämlich auf europäischer Ebene ein ausformulierter Grundrechtekatalog, obwohl die EU in immer mehr Lebensbereichen rechtlich mitgestaltet.
Meinungsfreiheit, freie Religionsausübung und das Recht auf Eigentum sind in allen EU-Staaten als Grundrechte geschützt. In der Regel können die BürgerInnen in der Verfassung nachlesen, welche zentralen Rechte sie gegenüber Gesetzgebung und Verwaltung besitzen. Diesen Stand an Rechtsstaatlichkeit will man nun auch für die EU selbst erreichen. Geplant ist, einen „Konvent“ einzurichten, der bis Ende des nächsten Jahres eine Grundrechtecharta erarbeiten soll. Diesem neuen Gremium, sollen nicht nur VertreterInnen der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten angehören, sondern auch Abgeordnete des Europäischen Parlamentes und der nationalen Volksvertretungen. Letzte Details zu diesem Verfahren wollen die EU-AußenministerInnen heute in Brüssel klären.
Die Beteiligung von Abgeordneten an diesem Vorhaben ist auf den ersten Blick ein großer Schritt. Bisher wurden die EU-Verträge ausschließlich von den Regierungen der Mitgliedsstaaten ausgehandelt. Die Sache hat jedoch auch einen Haken. So soll die Grundrechtecharta nicht als verbindlicher Teil der europäischen Verträge verabschiedet werden, sondern als eher symbolische „Erklärung“ .
Da fragt sich natürlich jeder Rechnungshof, warum ein so großer Aufwand betrieben werden soll, nur um ein symbolisches Dokument zu beschließen. Vielleicht aber entfaltet ein großangelegter EU-Grundrechte-Konvent genau deshalb eine Eigendynamik, die heute noch nicht absehbar ist. Im Bonner Außenministerium gibt man sich vorerst bescheiden und setzt auf ein schrittweises Vorgehen. „Auf der Grundlage dieser unverbindlichen Erklärung“, so hofft ein Sprecher, „kann dann in einigen Jahren ein verbindlicher Text ausgehandelt werden.“
Tatsächlich ist der Handlungsdruck nicht allzugroß, denn die Gemeinschaft ist auch heute keine grundrechtsfreie Zone. Seit Ende der 60er Jahre hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg in seiner Rechtsprechung eigene europäische Grundrechte entwickelt. Er stützte sich dabei vor allem auf die gemeinsame Verfassungstradition der Mitgliedsstaaten und nicht zuletzt auf die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates, die inzwischen auch von vielen osteueropäischen Staaten unterschrieben wurde.
Gestritten wird in der EU vor allem darüber, wie „sichtbar“ diese Grundrechte sein sollen. BefürworterInnen der Charta wie JustizministerIn Herta Däubler-Gmelin glauben, daß so die Akzeptanz der europäischen Integration gefördert werden kann. „Vielleicht wird sogar ein europäischer Verfassungpatriotismus entstehen“, hofft die SPD-Politikerin. Auch für die EU-Außenpolitik sei es sinnvoll, auf einen ausformulierten Grundrechte-Katalog verweisen zu können, etwa wenn man von anderen Staaten die Einhaltung der Menschenrechte einfordere.
Skeptische EU-Staaten, wie Großbritannien, Dänemark oder Schweden, befürchten jedoch, daß die EU zuviel Eigenleben entwikkeln könnte und sie sich immer mehr einem Staat angleicht. Gibt es erst einen verbindlichen Grundrechte-Katalog, so warnen sie, könnte bald die Forderung nach einer EU-Verfassung lauter werden und den Mitgliedsstaaten das Heft aus der Hand gleiten.
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