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Die Bahn kommt – aber immer seltener

■ Mit dem neuen Sommerfahrplan fallen sieben Prozent aller Verbindungen weg, vor allem beim billigen Interregio. Verkehrsverbände: Nahverkehr wird vernachlässigt

Berlin (taz) – Seit gestern fährt die Deutsche Bahn wieder mit dem Sommerfahrplan. Sieben Prozent aller Fernverbindungen sind dabei dem Rotstift zum Opfer gefallen. Es sind in den meisten Fällen die preiswerten Interregios (IR), die Bahnfahrer jetzt vergeblich suchen. Von insgesamt 430 IR-Verbindungen glaubt die Bahn auf 30 verzichten zu können.

Gestrichen wurde etwa die letzte direkte Abendverbindung von Saarbrücken ins Ruhrgebiet. Wer sich heute um 20.13 Uhr aus der saarländischen Landeshauptstadt auf den Weg nach Köln macht, ist nicht nur 16 Minuten länger unterwegs, sondern muß auch noch zusätzlich zweimal umsteigen. Wie gehabt kostet die Verbindung mit dem Guten-Abend-Ticket 59 Mark. Ohne das Sonderticket wäre die Fahrt noch sieben Mark teurer. Und wer von der Ostsee nach Hause in den Pott will, wird auch bestraft. In Hamburg wird der Anschlußzug um genau eine Minute verpaßt. Die Kunden dürfen es sich dann zwischen 30 und 59 Minuten auf dem Hauptbahnhof gemütlich machen – Umsteigen und Warten könnte in Deutschland zum Volkssport werden. Oft werden Züge nur deshalb nicht mehr erwischt, weil IC-Züge als Ersatzverkehr für weggefallene InterRegio herhalten müssen. Die müssen dann an fast jeder Milchkanne Halt machen. Am Ende fehlen die Minuten, um den Reisenden eine zügige Weiterfahrt zu ermöglichen.

Albrecht Schmidt, verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag und DB-Aufsichtsratsmitglied, ist froh, daß die Bahn nur zurückhaltend Züge gestrichen hat. Im Dezember letzten Jahres wollte die Bahn noch nahezu die Hälfte aller Interregio-Kilometer aus ihrem Programm nehmen.

Fahrplanwechsel bedeuten immer vorprogrammiertes Chaos. „Aber so schlimm wie in diesem Jahr war es lange nicht mehr“, ärgert sich Frank von Meißner vom Fahrgastverband „Pro-Bahn“. Nicht nur, daß reihenweise die Anschlußzüge verpaßt würden. Hinzu komme, daß die Kunden wegen nicht mehr vorhandener IRs die teuren Zuschläge für IC, EC und ICE zahlen müßten.

Wenn so etwas passiert, ist das „unschön, aber nicht immer zu verhindern“, findet DB-Sprecher Martin Katz. Die Bahn müsse Gewinne machen und mit dem Interregio seinen inzwischen 300 Millionen Mark Verlust eingefahren worden.

Petra Niß vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) vermutet hinter dem neuen Fahrplanchaos eine grobe Fehleinschätzung der Deutschen Bahn. Nach einer Studie der Universität Münster von 1996 seien nämlich 63 Prozent der Bahn-Kunden preissensibel und nur 7 Prozent achten penibel auf jede Minute, die sie schneller am Ziel sein können. Demnach wird die neueste Erfolgsmeldung der Deutschen Bahn, mit dem neuen ICT (der mit der Neigetechnik) die Fahrzeit von Stuttgart nach Zürich um 17 Minuten verkürzt zu haben, wohl auf taube Ohren stoßen.

Hauptkritikpunkt der beiden Verkehrsverbände ist, daß die Bahn mit ihrer Angebotspolitik vor allem die vielen Pendler auf den Nahverkehrsstrecken vergrätze. DB-Sprecher Katz kontert: „Für den Nahverkehr sind wir gar nicht zuständig.“ Seit der Bahnreform 1993 ist der Regionalverkehr Ländersache. Thorsten Denkler

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