Vom Schweinespeck zur Männerbeziehung

■ Ein Söldner muß Blut saufen und Schmerzen leiden. Effektvolle Fakes tun es aber auch. Albert Ostermaiers B.-Movie „The Making Of“ im Münchner Staatsschauspiel uraufgeführt

Am Ende waren es drei Morde – und doch liegt nur ein Toter auf der Bühne. Am Ende war es, als wäre alles nicht(s) gewesen. War da was? Zunächst das eine: Der 32jährige Dichter und Dramatiker Albert Ostermaier ist im Theater angekommen. Für das Bayerische Staatsschauspiel hat der künftige Hausautor ein Stück geschrieben, in dem die Üppigkeit seiner Lyrik in die Regieanweisungen geflüchtet ist und Platz schafft für echte Dialoge, eine nicht ganz so echte Handlung – und für Personen, mit deren Echtheit es so eine Sache ist. „The Making Of. B.-Movie“ heißt das Werk, und das B schielt sowohl zu Brecht, der das Stück zum 100. geschenkt bekommen sollte, als auch zur Hauptfigur Brom und zu Brechts Baal. Vor allem aber gehört das B zu B-Movie, meint gefilmten Trash, billig produziert.

Aus dieser Masche hat Wilfried Minks seine Uraufführungsinszenierung im Münchner Cuvilliéstheater gestrickt. Die Geschichte vom Dichter Andree (Sylvester Groth), der von Silber (Udo Samel) zum schreibenden Kriegsveteranen Brom gemodelt wird, bis Rolle und Wahrheit, Macher und Opfer austauschbar geworden sind – das ist der Stoff, der mehrfach abgefilmt und schön verwackelt auch auf der bühnengroßen Leinwand erscheint. Dagegen erscheinen die Originalfiguren in dem Bühnenbild von Minks, das für jede Szene bloß eine andere Sitzgelegenheit vorsieht, eher klein.

In der ersten Hälfte der etwa hundert Minuten schnellen Szenenfolge hat das Theatralische bloß eine Statistenrolle inne. Klar, daß die Regie nicht verzichten will auf hübsche Ostermaier-Sätze wie: „Selbst die Geschichten sind in ihrer Atemnot aus den Büchern verschwunden. Gleich getrockneten Blumen warten auch sie nur darauf zu zerfallen in den Gleichmut des Staubs.“ Doch statt daß die Bilder evoziert würden, die er enthält, surrt der Text in Leuchtschrift über ein Band und mit der schönen Stimme von Ingo Hülsmann auch noch weiter. Vor der geschäftig flimmernden Leinwand werden übergroße Porträts herumgeschoben. Udo Samels rundes, weiches Gesicht, Sylvester Groths betont brutales. In Groths Augen aber schwelt Verwunderung.

Ostermaier hat den Text seinen beiden Schauspielerfreunden auf den Leib geschrieben. Und läßt sie im Kreuzfeuer der V-Effekte einen Privatkrieg um Macht und Liebe kämpfen, als wären es Shlink und Garga in Brechts „Dickicht der Städte“. Die Regie hebt das noch hervor, indem sie bei Broms Frauengeschichten kräftig streicht und das handfest Körperliche dieser Männerbeziehung herausarbeitet: Silber markiert seine Herrschaft über die Identität des geliebten Feindes mit saftig blutenden Verletzungen. Und mit einer gefühligen Menschlichkeit, die so wohl nur ein Udo Samel plazieren kann. Doch die zweite Ebene macht auch daraus Reality-TV: Groß dringt ein Messer in Gewebe ein, wahrscheinlich Schweinespeck. Und dann spritzt es.

Lehre Nr. 1: Wer ein Söldner sein will, muß Blut saufen und Schmerzen leiden. Lehre Nr. 2: Effektvolle Fakes tun es auch. Brom und das Stück sind reif für den Schwenk zur Kultur- und Medienschickeria. Denn auch das weiß „The Making Of“ in guter Brecht-Tradition: Diese ist so blöde, daß sie den Künstler gerne in die Arme schließt, brüllt, furzt und fickt er nur öffentlich genug.

So ist denn auch eine Fernsehtalkrunde die schönste Szene des Abends: Nulliges Kulturgewäsch, von Roland Bayer als Kritiker und Peter Albers als Talkmaster virtuos in die Höhe getrieben. Dazu Brom, der offensichtlich gaga spielt, und Silber, dessen Bedrohlichkeit allmählich einer Starre weicht.

Hier machen Physiognomien und Temperamente theatergemäß den Kampf unter sich aus, und auch die technischen Mittel finden spielerisch zu sich selbst: Statt aufdringlich „wichtig!“ zu schreien bei der Wiederholung von Sätzen wie „Das ist kein Spiel mehr!“, kündigt das Leuchtband die Verzögerung der folgenden Sendung an. Und wenn der süßliche Talkmaster kurz vor dem Cut aus der Rolle fällt, sagt das mehr über Realität und Fiktion als ästhetisch reizvolle Kamerafahrten über leergegessene Teller.

Und der Schluß? Er ist bei allem „Unwirklichen“ eine Sache der Möglichkeiten. Ostermaier hat zwei vorgeschlagen, Minks setzt noch eins drauf: Beim ersten Schluß stirbt Silber, fast zärtlich erwürgt von seiner Kreatur. Beim zweiten stirbt Brom, an Kuß und Messer eines fremden Soldaten, der sich Silber nennt. Der erste Schluß schwenkt von der Bühne in die Filmrealität, der zweite ist ganz Film. Der dritte nur mutet dem Publikum Silbers theaterechte Leiche zu, und die versammelte Kulturidiotie freut sich über diesen schönen Tod. Erst am Ende lernt diese Inszenierung damit, das Live-art-Mittel der verschiedenen Spielebenen so anzuwenden, daß sie einander keine Konkurrenz machen. Sabine Leucht