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Jetzt oder nie

■ Der russische Vermittler Tschernomyrdin muß von seiner heutigen Reise nach Belgrad eindeutige Zusagen mitbringen. Sonst droht die „Eskalation des Krieges“, sagt Joschka Fischer

Berlin (AFP/dpa/taz) – „Die nächsten Tage werden entscheidend“ sein, um die diplomatischen Initiativen für eine Beilegung des Kosovo-Konflikts zum Erfolg zu bringen, hatte Bundesaußenminister Joschka Fischer gestern bei einer Konferenz europäischer Parlamentarier in Berlin erklärt. Hohe Erwartungen richten sich dabei auf die heutigen Gesprächen des russischen Kosovo-Vermittlers Wiktor Tschernomyrdin mit der jugoslawischen Führung. Anders als bei den vier vorigen Belgrad-Besuchen Tschernomyrdins ist klar, daß die Zeit für Diplomatie abläuft und die politische Entscheidung über die Fortsetzung der Luftangriffe oder den Beginn eines Bodenkrieges sehr bald fallen wird.

Falls die Friedensbemühungen scheitern sollten, erwartet Fischer „eine Eskalation des Krieges“. Ob er damit den Einsatz von Bodenkampftruppen meinte, ließ er offen. Fischer betonte jedoch, daß angesichts der drohenden Eskalation „alle Kräfte darauf konzentriert werden müssen, um jetzt einen Durchbruch zum Schweigen der Waffen“ zu erreichen.

Zur Vorbereitung der Belgrad-Reise kamen gestern Tschernomyrdin, der im Auftrag der EU agierende finnische Präsident Martti Ahtisaari und US-Vizeaußenminister Strobe Talbott auf dem Petersberg bei Bonn zu einem Arbeitsessen zusammen. Am Nachmittag stießen die Delegationen dazu, und am Abend wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder erwartet.

Im Auswärtigen Amt ist am Dienstag nachmittag ein Brief des jugoslawischen Außenministers Zivadin Jovanovc eingegangen, bestätigte der Sprecher des Bonner Ministeriums, Martin Erdmann. Das Schreiben war an Fischer als amtierenden Ratsvorsitzenden der EU gerichtet. In dem Brief soll die jugoslawische Führung die Forderungen der sieben führenden westlichen Nationen und Rußlands (G 8) für eine Beendigung des Kosovo-Konfliktes akzeptiert haben. Danach soll Jugoslawien unter anderem seine militärischen und paramilitärischen Truppen aus dem Kosovo abziehen. Die Rückkehr der Kosovo-Flüchtlinge solle durch eine internationale Truppe mit einem robusten UN-Mandat abgesichert und dann eine Übergangsverwaltung eingerichtet werden.

Der serbische Befehlshaber für das Kosovo, General Nebojsa Pavkovic, sagte, eine politische und praktische Lösung der Kosovo-Krise sei in Sicht. Es gebe aber noch zwei umstrittene Punkte. Jugoslawien widersetze sich weiterhin einem vollständigen Abzug seiner Truppen aus dem Kosovo und der Stationierung einer Friedenstruppe mit Soldaten aus Nato-Ländern, die an den Luftangriffen beteiligt waren. Die jugoslawische Truppenstärke im Kosovo solle auf das Vorkriegsniveau gesenkt werden, sagte Pavkovic.

Fischers Rede vor 200 Abgeordneten aus 27 europäischen Ländern im Reichstagsgebäude wurde mit Beifall aufgenommen. Die Lehre aus dem Kosovo-Konflikt sei, daß es in Europa eine geteilte Sicherheit nicht gebe. Er stimme dem ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki zu, daß Westeuropa die Krise in Südosteuropa zu lange unbeachtet gelassen habe. Im Europa der 30er Jahre wäre der jugoslawische Präsident Slobodan Miloevic mit seiner Politik des „aggressiven Großnationalismus“ nicht weiter aufgefallen, sagte Fischer. „In den Gletschern des Kalten Krieges“ habe sich diese politische Grundhaltung Belgrads konserviert. Dagegen hätten Demokratisierung und Integration in der Europäischen Union zu Kompromißfähigkeit auch in massiven Streitfragen geführt.

Fischer verglich seine Vorstellung von einem langfristigen Friedensprozeß für die Krisenregion des Balkan mit dem sogenannten Helsinki-Prozeß, der 1975 begann. Ein entsprechendes Verfahren für den Balkan sei im Interesse der EU, weil es billiger und zukunftsträchtiger als Krieg sei. Zudem müsse Südosteuropa die Möglichkeit zur Abkehr von einem „historischen Atavismus in Europa“ geboten werden. Die Rolle Rußlands und der Ukraine müßte beachtet werden. Stefan Schaaf

Tagesthema Seite 3

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