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Autonomes Auffangbecken

Im Jugendzentrum Drugstore ist es schmuddelig, aber die Punks fühlen sich wohl. Vermieter und Bezirk gefällt das nicht  ■   Von Katrin Cholotta

Hinter den verschmierten Scheiben des „Drugstore“ wird es allmählich Abend. Ein junger Typ mit zottelig-blondem Haar lehnt gelangweilt an der selbstgezimmerten Bar und dreht sich eine Zigarette. Die blanken Nieten seiner Lederjacke reflektieren mild das rote Licht der Lampen. „Deutschland verrecke“ ist auf dem größten seiner unzähligen Aufnäher zu lesen. Unterstützend dröhnt krachig der Refrain der „Skeptiker“ aus den Lautsprechern: „Deutschland, halt's Maul!“ durch Deutschlands ältestes selbstverwaltetes Jugendzentrum, dem „Drugstore“ in der Potsdamer Straße in Schöneberg.

Anarchiesymbole übersäen die bunten Wände. Wer hier etwas zu melden hat, kann es einfach an die Wand schreiben: „Viva kreativa“. Alles ist ein wenig schmuddelig: das Treppenhaus ist von einem strengen Geruch durchzogen, der nackte Betonboden schmutzig-schwarz und von Kippen übersät, auf einem der wackeligen Tische ist ein Aschenbecher ausgekippt, leere Bierflaschen sammeln sich in einer Ecke. Lebenskultur der Punks – und ein Kündigungsgrund der BVG. Dem Nahverkehrsunternehmen gehört das Gebäude, in dessen oberster Etage das Drugstore bereits seit 26 Jahren residiert.

Wegen des „widerlichen“ Zustandes – nebenbei bemerkt, würden die Räume des Drugstores durchaus rentabel vermietbare Büroflächen hergeben – sieht sich die Berliner Verkehrsgesellschaft gezwungen, das Bezirksamt Schöneberg zu mahnen. Dieses hielt daraufhin die Fördermittel der letzten zwei Monate zurück. Das Geld, 3.500 Mark, sei für eine Reinigungsfirma ausgegeben worden.

„Reinigungsfirma ist gut“, pfeift Schnecke, wie sie von ihren bunten Kumpanen genannt wird, ärgerlich, „erstens mal macht die immer nur bis zur ersten Etage sauber, und zweitens würde ich gerne wissen, warum das bißchen Wischen 3.500 Mark kostet!“

Fünf Hunde toben laut bellend in den Raum, gefolgt von ihren gemütlich hintendrein schlürfenden Herrchen. Man begrüßt sich mit lockerem Handschlag, der DJ stellt die dröhnende Musik noch ein wenig lauter. Bierkronen ploppen, es wird angestoßen.

Plötzlich springt ein etwas hagerer, trotz Wärme mit dickem Kapuzenpulli bekleideter Junge auf und kickt brüllend einen Stuhl durch den Raum. „Gibt schon komische Typen hier“, kommentiert Nadja. Die rotgrüne Färbung ihrer Haare ist ausgewaschen. Sie sitzt alleine an dem großen Holztisch, ihre Bierflasche als Beschwerer eines zerknüllten Briefes vor sich. Nervös kratzt sie das letzte bißchen Tabak zusammen. „Uwe hat mir aus dem Knast geschrieben“, erzählt sie müde, „im Juni wird wohl die Gerichtsverhandlung sein.“ Ihr Freund sitzt wegen zweifach bewaffneten Raubüberfalls in Moabit und wird „wohl auch die nächsten zwei Jahre da nicht rauskommen“.

Das zierliche Mädchen trommelt den Beat der aggressiven Musik auf ihren Knien. „Den haben die sogar mit einem Fascho in eine Zelle gesteckt! Dabei hat sein Bart“, sie deutet auf einen tanzenden Punk mit knallrotem Iro, „ein sechsmal dunkleres Rot als dessen Haare!“ Zum erstenmal huscht ein verhaltenes Lächeln über ihr schmales Gesicht, ihre dunklen Augen sind glasig.

„Irgendwie bin ich ja fast schon seit heut' morgen breit“, bringt sie beinahe bedauernd hervor, „aber was soll man denn machen, wenn man die ganzen Drogen auf Arbeit kriegt?“ Nadja erzählt von ihrem langweiligen Job bei Jump, dem Programm der Regierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. „Ich hab ja schon immer vor der Schule meine zwei, drei Bier gesoffen. Kein Wunder, daß ich zweimal sitzengeblieben bin.“ Es folgt ein Ausflug in die Kindheit: Scheidung der Eltern, alkoholkranker Vater, der ihre Mutter oft vergewaltigt habe.

Ein unerträglich lauter Heulton überbietet plötzlich die krachige Musik, zwei rote Rundumleuchten flammen über dem Tresen auf. Micha, ein etwas rundlicher, langhaa riger Typ, schiebt das von der Dekke hängende, schwarze Tuch beiseite und drückt gelassen auf einen Knopf. Dröhnender Baß erfüllt nun wieder einzig den Raum. „Das war die Alarmanlage vom Frauenklo“, erklärt er sachlich, „irgendein Spaßvogel hat wohl mal wieder Langeweile.“ Vor ein paar Wochen sei ein Mädchen nach einem Konzert auf der Toilette belästigt worden – seitdem gibt es den Notschalter. „Einer von uns klettert dann über die Tür und schafft klare Verhältnisse“, erläutert Micha weiter. Er ist einer der älteren Drugstore-Besucher und fast „von Anfang an dabei, den Laden hier zu managen“. Schule geschmissen, rumgejobbt, Häuser besetzt – sein Lebenslauf paßt auf viele Drugstorler. Stolz legt er ein Handy neben sein Bier: „Morgen geht's nach Westdeutschland, da bau'n wir auf für Rock am Ring.“ Der 33jährige hat inzwischen eine eigene kleine Firma, die bei Konzerten Bühne und Tontechnik installiert.

Der Lärm des Gerangels um die beiden Kicker verstummt plötzlich; ein Typ mit Springerstiefeln, die fast bis an seine Knie reichen, stellt scheppernd einen Stapel Teller auf den Tisch. Zwei seiner aufwendig frisierten Kumpels schleppen riesige Alutöpfe hinterher: Abendbrot. Für zwei Mark gibt es einen verklebten Batzen Spaghetti mit lauwarmer Dosentomatensoße. Die ist ein wenig zu scharf, das steigert den Bierkonsum. Und Bierkonsum steigert die Laune. So wird getanzt, gebrüllt, gemeckert, diskutiert. Und zwischendurch abwechselnd die dreckigen Klamotten in eine der beiden Waschmaschinen gestopft.

Gegen drei Uhr morgens ziehen die meisten nach Hause, einige zum Zoo, andere zur Köpi, dem autonomen Wohnprojekt in der Köpenicker Straße. Micha ist eigentlich schon viel zu spät dran. Er muß mal wieder Lautsprecher abbauen.

„Manchmal kommt mir das alles hier wie ein letztes Auffangbecken vor“, sagt er im Gehen, „für all diejenigen die sonst auf der Straße landen würden.“

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