piwik no script img

Normalzeit

Die Schuld der Olivenbäume  ■ Von Helmut Höge

„Der benimmt sich wie die Aix en Provence,“ sagt man auf den Fluren des WDR in Köln – über all jene Redakteure und Wellenleiter, die ein Haus in Südfrankreich haben, und für nichts anderes mehr Interesse. Eine Zeitlang zog es die Kulturschaffenden und ihre Multiplikatoren auch in die Toskana – als stille „Reserva di Caccia“.

Mit den medial statt mit der Basis kommunizierenden SPD-Politikern Engholm, Schröder, Lafontaine wurde daraus die „Toskana-Fraktion“. Sie löste die einst von Augstein und Boehnisch prominent gemachten „Sylt-Sauereien“ ab. Vollends, nachdem das kommunistisch regierte Gourmet- Dreieck zwischen Florenz, Arezzo und Siena sich mit der Kronzukker-Entführung auch noch politisierte: „Da war was los!“

Neulich traf ich in Bonn einen alten HR-Redakteur. Er wußte alles: Warum die Sowjetunion auseinanderbrach, wie die Menschen im Osten hier denken, wie sie denken müßten usw. Im Zweifel hatte er sogar – z. B. mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf – das „Problem“ höchstpersönlich erörtert. Das Wichtigste aber war ihm sein Haus in der Toskana, wo er 12 Olivenbäume gepflanzt hatte: „Zwölf Bäume, stellen Sie sich vor, vier tragen bereits anständig was.“ Immer wieder kam er auf seine Olivenbäume zurück. Irgendwann wurde mir klar: Daß es in Deutschland keinen aggressiv-neugierigen Journalismus mehr gibt – das liegt vor allem an den Olivenbäumen!

Da ich selber mal ein Jahr bei Arezzo lebte, weiß ich, daß es dort inzwischen von olivenbaumpflanzenden Kulturschaffenden nur so wimmelt. In den achtziger Jahren gab es Sommer, da traf man z.B. auf der Piazza in Poppi mehr taz-Mitarbeiter als auf dem alternativen Schöneberger Winterfeldt-Markt, wo heute die handgepreßten Olivenöle aus Italien hektoliterweise angeboten werden. Zumeist von geschäftstüchtigen Ost-Intellektuellen, die sich nun in den Appenin krallen. Im Ausstrahlungsbereich der deutschen Küstensender hatte zunächst H. J. Kuhlenkampff mit seinem Kapitänspatent eine wahre Yacht-Welle ausgelöst. Die Kulturredaktionen übten nur noch Knoten, und wenn sie sich als Skipper zum Brainstorming auf einer dänischen Insel versammelten, riefen sie: „Hol over!“ und „Habe die Öre!“ Das waren alles Staatsbedienstete. Bei den privaten Print- und sonstigen –medien mußte das „Boot“ dann schon im Mittelmeer ankern. Auch die Leitungsebene des Kreuzberger Medienkonzerns Schmidt & Partner legte sich dort nach der Wende angeblich sofort eine Yacht zu. Während die Masse der neuhauptstädtischen Meinungsmacher sich ins Märkische absetzte, wo sie – nach Arrondierung ihrer Datschen-Grundstücke – ein dreimal kräftiges „Mijn Land!“ ausstießen, um sich dann in die Heimwerkermärkte zu stürzen.

Die Hamburger hatten es ihnen im Wendland vorgemacht. Es gibt daneben aber auch – durchaus renommierte – Regisseure, die drei Inszenierungen im Jahr brauchen, allein um ihren Kokainkonsum zu finanzieren. So etwas läßt sich nicht einfach aus dem Saft ungespritzter Oliven filtern. Eher schon verdankt sich dieser steigende Stimulanzbedarf der Gomera-Welle, die ihrerseits eine Antwort der Journaille auf die Tschernobyl-Hysterie der Grünen war. Mal abgesehen von ein paar Großschriftstellern, die dadurch aus der Bahn geworfen wurden, daß sie noch in hohem Alter ein junges Ding zeugten. Was das alles kostet?! – Das wollte ich damit sagen.

Um auf schwankenden Planken oder festem Grund sicheren Halt zu finden, braucht es mehr als ein unsicheres Monatseinkommen knapp über Sozialhilfeniveau. Dazu muß die Kulturproduktion so reibungslos funktionieren wie ein gut geöltes Räderwerk. Ein ständiges Geben und Nehmen. Gegen die Überproduktion beschloß die EU gerade, für jeden gefällten Olivenbaum eine Prämie zu zahlen. „Die kann ich gut gebrauchen“, meinte mein Nachbar, ein ORB-Redakteur, erfreut, „ich muß das Dach neu decken. Und statt der Olivenbäume pflanze ich einfach Wein. Dafür gibt's demnächst auch eine Prämie!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen