: Damendoppel & amouröser Amok
„Double Bill“ tanzt sich auf Kampnagel ins Herz der Zuschauer ■ Von Gisela Sonnenburg
„Tötet dieses Weib!“ brüllt Herodes in Oscar Wildes Drama Salome. Das entlarvt den Haß, der entsteht, wenn die Balance der Sexualität und das Gleichgewicht der Machtverteilung aus den Fugen geraten sind. Dazu erfand die Israelin Jasmin Vardimon ein verblüffendes Tanzdrama, eine heimliche Sensation des von der Kampnagel-Mannschaft organisierten Festivals Junge Hunde.
Doch zuvor steht beim Abend Double Bill ein Damendoppel der in Venezuela geborenen Choreographin Sara Gebran auf dem Programm: Miss – I, das sie mit Sasa Queliz als Partnerin tanzt. Beide kommen vom Ballett, und das Graziöse, Anmutige prägt ihren Auftritt. Familienfotos, Bilder aus der Heimat Südamerika bilden die Kulisse. Vom Band erschallen Stimmen. Die Frauen, in Hosen farbenfroh kostümiert, bilden zunächst nur Kontrapunkte. Elegische Bewegungen vollführen sie, jede für sich, ungeheuer elegant: zwei im Exil Lebende, die ihr Heimweh verbindet.
Und sie kommen zusammen, finden sich, tanzen die schönsten Pas de Deux für zwei Frauen, die ich je sah: akrobatisch, im Tempo abwechslungsreich, teils so zart, daß es schon fast kühl wirkt. Bis eine Schmonzette ertönt. Die weckt die südamerikanische Lebensfreude: „Miss – I“ ist eine Liebesgeschichte in pastellenen Gefühlsnuancen.
Nach dem Schwelgen in frisch geknüpften Banden dann endlich der bravouröse, amouröse Amok-lauf mit biblischer Grundlage von Jasmin Vardimon. Ihre Salome-Paraphrase heißt Tête und konzentriert sich, anders als die Vorlage von Wilde, auf die Beziehung Salomes zu Herodes. Der stammelt uns, getanzt von Luke Burrough, in einer Videoprojektion seine Herrschsucht entgegen. Schnitt. Ganz real und ganz ruhig liegt er auf einer Matratze und liest ein Buch – Oscar Wilde? Zwei Ladies (Vardimon und Liat Shinar-Ogden) agieren zu leidenschaftlichen Tangoklängen im hinteren Bühnenraum: keck, lasziv, aggressiv. Sie beide sind Salome; die eine ist kindlich, die andere emanzipiert. Letztere trägt zum Zeichen eine Krawatte zum Minirock. Während Herodes liest, schleicht sich die erwachsene Salome wie eine läufige Hündin an ihn heran. Piesackt ihn, umgarnt ihn, schmeichelt sich ein, solange, bis er sie streichelt, ohne es selbst zu bemerken. Prompt kommt es zum Tanzduell: Sie wird aufmüpfig, er wirft sie ab wie einen lästigen Klammeraffen. Besser ergeht es der anderen, untertänig-romantischen Salome: Statt gymnastische Übungen an Herodes vollbringen zu müssen, erntet sie Aufmerksamkeit, Zuwendung, Liebe.
Die beiden Seelen in Salomes Brust werden zu Rivalinnen. Stärker ist natürlich die Krawattenfrau. Und dann geht alles sehr schnell. Herodes, bis da apathisch, steigt urplötzlich voll ein und verwickelt Salome in aufregende Saltos. Er schlägt sie, er wirft sie nieder. Verpaßt ihr eine Ohrfeige mit seinem Buch. Sie rappelt sich hoch, erwischt ihn. Er demütigt sie brutal. Getanzte Gewalttätigkeiten. Die Matratze ist nicht nur Bühnenbild – es sind regelrechte Stunts, die das schwierige Pärchen absolviert. Das ist Geschlechterkampf wortwörtlich, der zwischendurch umkippt in exakt und synchron getanzte Passagen der Harmonie.
Mit den Bässen der E-Musik steigert sich die Aggression: Salome in der Spirale der brachialen Triebe. Sie schlägt, sie rastet aus. Sie ist personifizierte Wut. Er tut nichts dagegen. Sie erwürgt sich selbst mit ihrer Krawatte, während sie zitternd und bibbernd ein letztes Mal auf Herodes zuwankt. Was für ein Stück Frauenkunst.
noch heute und morgen um 19.30 Uhr auf Kampnagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen