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Schäbiges Wohnzimmer

Mit 130.000 kosmetischen Eingriffen rechnen ästhetische Schönheitschirurgen in diesem Jahr allein in Deutschland. Auch feministisch orientierte Frauen lassen sich inzwischen die Haut straffen, immer mehr Männer die Hamsterbacken liften und das Bauchfett absaugen. Doch Vorsicht, es besteht Suchtgefahr! Wer sich die Oberschenkel verschlanken läßt, dem fallen danach die dicken Hüften um so unangenehmer auf. Eine Lebensrecherche  ■ von Barbara Dribbusch

Mit dem Blick in den Spiegel fangen viele Geschichten an. Auch die von Gisa Schneider. „Eines Morgens stand ich im Bad vor dem Spiegel, das Handtuch straff um den Kopf gewickelt“, erzählt die 49jährige Berlinerin, „da dachte ich: Mensch, so siehst du gut aus.“ Sie schob mit den Händen links und rechts noch ein bißchen die Wangen in Richtung Ohren, riß ein bißchen die Augen auf, und da war es: das neue Gesicht. Nicht mehr diese leicht hängenden Wangenbäckchen, nicht mehr die tiefen Nasen-Mundfalten einer Endvierzigerin. „Ich wußte plötzlich: Ich will was machen lassen, und zwar bald.“

Gisa Schneider heute, ein paar Monate später. Ponyfrisur, eine fast glatte Haut, große Augen. Im Gesicht fehlen die typischen Alterserscheinungen. Man muß ihr sehr nahe kommen, um die kleinen Schnittnarben an Ohren und Lidern zu bemerken. Und nur im schrägen Tageslicht wirkt ihre Wangenhaut ein bißchen hart. Für Schneider war das Lifting an Augen und Wangen „eine tolle Sache“. Sicher gebe es Frauen, die sich so gefallen, wie sie sind. Aber sie wollte „etwas frischer aussehen. Nicht mehr so traurig um die Mundwinkel.“

Aes macht sich Gedanken: „Ich lasse mir das Fett an Oberschenkeln und Knien absaugen und bin besorgt, daß mein Hintern hinterher zu dick aussieht. Hat jemand damit Erfahrung?“ Bunny hat: „Mein Hintern wirkt tatsächlich irgendwie größer. Naja, wenn sie die Fettabsaugung am Hintern perfektionieren, bin ich wieder dabei.“

Die Schönheitsbranche boomt, inzwischen auch in Deutschland. Werner Mang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Medizin in Lindau/Bodensee, schätzt die Zahl der ästhetischen Operationen im Jahr 1998 auf etwa 250.000, in diesem Jahr seien 300.000 Eingriffe in Deutschland zu erwarten. Vor fünfzehn Jahren fragten in der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie in Rothenburg/Wümme gerade mal jährlich dreißig bis vierzig Interessenten nach guten Ärzten auf dem Gebiet. „Heute haben wir dreitausend bis fünftausend Anfragen“, berichtet der Generalsekretär der Gesellschaft, Hans Rudolph.

Nicht nur die französische Feministin und Autorin Benoite Groult hat mit ihrem Bekenntnis zum Facelifting die Diskussion weiter geschürt. „Ich kam zu der Auffassung“, erklärte sie, „daß ich dem Leben eine lange Nase mache, wenn ich sage: Morgen lasse ich mir mit dem Skalpell fünfzehn Jahre wegschneiden.“

Frauen lassen sich Fett absaugen und Falten straffen. Bei Männern – immerhin ein Viertel der Patienten – stören vor allem Hamsterbäckchen, Hüft- und Bauchfett das männlich-herbe Spiegelbild. „Die Schwelle zur Operation ist niedriger geworden“, meint der Berliner kosmetische Chirurg Bernd-Ulrich Meyburg. Doch machen diese Eingriffe die Patienten hinterher glücklicher?

Jewels gibt Auskunft über die Tage nach ihrer Fettabsaugung: „Okay, heute bin ich irgendwie depressiv. Obwohl ich definitiv das Operationsergebnis sehen kann an der Außenseite meiner Oberschenkel, dem Hintern und dem Bauch, kommt es mir doch so vor, als würde mein Hüftfett jetzt über meinem Hintern hängen, und die Innenseiten meiner Oberschenkel haben sich eigentlich doch nicht so sehr verändert.“

„Die Erwartungen müssen realistisch sein“, erklärt Hartmut Tiel, auf Fettabsaugung spezialisierter Dermatologe in Berlin. Kein Chirurg kann Haut verjüngen oder aus einem dicken Menschen einen dünnen machen. Schönheitschirurgie ist immer Mogelei. Ältere Frauen so um die sechzig sind für Tiel angenehme Patientinnen: „Die haben so einen Touch Selbstironie, kommen vielleicht nach dem Tod ihres Mannes und sagen: Herr Doktor, nur die Augenlider und noch zwei dunkle Flecken, dann aber Schluß!“

Die Jungen hingegen jagten oft einem Idealbild hinterher, „das kann auch süchtig machen. Da kommen dann Leute, die lassen sich zuerst die Außenseite der Oberschenkel absaugen, danach die Innenseite, dann die Hüften und schließlich fragen sie mich: Herr Doktor, können Sie nicht auch was mit meinen Schultern machen?“

Sissy Schwarzkopf etwa hatte ihre Nase operieren lassen, war aber noch nicht zufrieden: Eine zweite Nasenoperation folgte. Dann ließ die 38jährige Berlinerin ihr Fett an den Knien absaugen, unter örtlicher Betäubung: „Das Schlürfgeräusch war schrecklich.“ Als die Kniegegend flacher erschien, wirkten plötzlich die Oberschenkel besonders dick. Kürzlich war die Mutter dreier Kinder zum Beratungsgespräch für eine erneute Fettabsaugung.

Deborah hat Fettabsaugung und Brustvergrößerung schon länger hinter sich: „Alles läuft gut, ich liebe meine vergrößerte Brust. Ich war so aufgeregt, daß ich einkaufen ging. Das erste Mal in meinem Leben kaufte ich zwei Hosen Größe 38. Yeahh!!“

Wenn das Schlafzimmer renoviert ist, wirkt das Wohnzimmer plötzlich schäbig, beschrieb eine englische Kolumnistin den Suchteffekt der ästhetischen Operationen. Wer sich mit vierzig den Bauch eines 25jährigen zurechtsaugen läßt, dem fallen dann die Tränensäcke im Spiegelbild unangenehmer auf. „Man muß eine Grenze setzen“, sagt Gisa Schneider. Sie ließ nach dem Lifting und der Lidstraffung das rechte Oberlid nochmal nachkorrigieren. Dann fragte sie Bernd-UIrich Meyburg, ob man nicht noch „was an den Oberarmen“ machen könnte. Die erschienen ihr plötzlich so labbrig. Meyburg lehnte fürs erste ab: „Kommen Sie in zehn Jahren wieder.“

Wer sich nur an einem bestimmten Merkmal stört, ist am ehesten zufriedenzustellen. So wie Gaby Rosdorf. „Da war was, das wollte ich weghaben. Nicht mehr und nicht weniger.“ Gestört hat sich die 42jährige an den „Reithosen“, den Fettansammlungen um die Oberschenkel. „Um den Hintern herum hatte ich Größe 40, oben aber Größe 38.“ Angst vor einer Operation und der Narkose verspürte sie nicht, sie hatte schon mehrere medizinische Eingriffe hinter sich. Nach einem Badeurlaub war der Entschluß gefaßt: Rosdorf ließ sich das Oberschenkelfett absaugen. „Dann zum ersten Mal eine enge Hose kaufen, das war schon klasse.“ Glücklicher sei sie jetzt aber nicht. „Warum soll sich das Leben durch eine Schönheitsoperation verändern? Das ist eine falsche Erwartung.“

Mary hat viel „liposuction“-Erfahrung: „Meine erste Operation war im August 1997. Dann mußte ich noch einmal im Dezember hin für eine kleine Nachoperation. Jetzt ist März 1999, und ich werde noch einmal hingehen für einen neuen Eingriff. Ich habe zugenommen, aber nicht an den gleichen Stellen wie vorher. Einiges ging an andere Stellen, und manches hat meinen Hintern auch wieder schwerer gemacht. Ihr wißt, was ich meine.“

Gisa Schneider hat eine pragmatische Einstellung zum Lifting, die jeder Feministin den Atem verschlagen würde: „Warum sollen sich Männer junge Frauen nehmen, wenn sie sich mit der alten gut verstehen?“ fragt die Unternehmersgattin. „Die Frauen können sich doch ein bißchen herrichten lassen.“ Der eine kaufe sich ein neues Auto, der andere eine neue Wohnungseinrichtung, „da kann man sich doch auch mal eine Operation spendieren“. Unnatürlich findet sie das Lifting nicht, „da wird doch nur etwas herausgeschnitten, was überflüssig ist“.

Chirurg Meyburg legte ihr nach der Operation die zwei Hautstreifen vor, die er am Haaransatz über dem Ohr und Nakken herausgeschnitten hatte. Auch noch zwei Fettkügelchen bekam sie zu sehen: die herausoperierten Tränensäcke.

Raven ist nicht zufrieden nach ihrer Operation. „Ich kann immer noch kein Ergebnis an meinen Reithosen sehen. Ich weiß, daß die Innenseiten der Oberschenkel und die Kniegegend etwas länger brauchen. Könnt Ihr mir vielleicht einen Rat geben, wie ich am besten mit meinem Schönheitschirurgen rede?“ Eine Leidensgenossin rät ihr, behutsam vorzugehen: „Ich würde folgende Art von Frage vorschlagen: ,Ich weiß, Sie wollen zufriedene Patienten haben. Und ich wäre gerne ein zufriedener Patient, aber ...' „

Die ästhetische Chirurgie enstand während des ersten Weltkriegs, als die Ärzte versuchten, die durch Granatsplitter verstümmelten Gesichter der Soldaten wiederherzustellen. Heute stehen die Chirurgen an einer neuen Kriegsfront. „Eigentlich kommt alles durch die Medien“, sagt Hans Rudolph. Der visuelle Overkill mit Bildern von schönen, jungen, oft auch bereits operierten Menschen läßt dicke Oberschenkel, Tränensäcke und Falten plötzlich krank, unnormal, ja unnatürlich erscheinen. Das ist die eigentliche Verkehrung. „Ich bin ein fröhlicher Mensch, frisch und natürlich“, sagt Schneider über ihr Motiv zum Facelift, „und jetzt seh' ich wieder so aus, wie ich bin.“

Die Zitate stammen aus dem interaktiven Diskussionsforum für liposuction (Fettabsaugung) in den USA www.liposite.com

Die Namen der Patientinnen wurden geändert

Barbara Dribbusch, 42, ist Inlandsredakteurin der taz. Sie beschäftigt sich vor allem mit sozialen Themen.

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