Heimatlos 2000

■ Drama einer geflüchteten Generation: Gabriele Jakobi inszeniert im Stükke Theater Biljana Srbljanovics „Belgrader Trilogie“ als komödiantisches Kammerspiel.

Biljanas Srbljanovics erstes Stück ist ein Geschenk für jedes Theater. Man muß es gar nicht spielen, man kann es einfach vorlesen, und schon hat man einen lakonisch leichten, unsentimentalen, vibrierenden Abend. In drei knappen Szenen erzählt die junge serbische Dichterin das Drama einer geflüchteten Generation.

Obwohl das Wort Heimat nicht erwähnt wird, dreht sich alles um sie, um die Sehnsucht nach Belgrad. Und während sich alles dreht, steht die vergangene Zeit still und unüberwindbar zwischen dem vergangenen Leben und dem, das nie gewollt war.

Überall auf der Welt treffen sich serbische Exilanten, um Silvester zu feiern. In Prag bereiten sich zwei Brüder auf einen Tanzwettbewerb vor. In Sydney treffen sich zwei Pärchen zu einem Diner. In Los Angeles begegnen sich ein Schauspieler und eine Pianistin auf einer Party.

Das Band, das die Exilanten verknüpft, ist die in Belgrad gebliebene Ana. Sie hat geheiratet, ein Kind geboren und einen Job als Nachrichtensprecherin bekommen. Ana ist das abwesende Glück, die zerbröselte Liebe, die geraubte Karriere. In ihrem Bild verliert sich das Rätselhafte des exilierten Zustandes und gewinnt eine Kontur, an der man sich reiben kann. Ana ist Heimat. Ohne sie wären die Menschen ihrem Dasein grundlos ausgeliefert. Aber der Grund, den sie in ihr finden ist abwesend und schmerzhaft, verzweifelt klammern sie sich an Gemeinsamkeiten, Erinnerungen und Ausreden. Kica ist stolz darauf, seinem Bruder Mica in Prag ein Nachtleben ohne Armee geschenkt zu haben. Und Mica hält sich an seiner Liebe zu Ana fest. Als er schließlich am Telefon erfährt, daß diese geheiratet hat, reagiert er wie ein Automat. Er stürzt sich auf das tschechische Mädchen, das ihm sein Bruder zugeführt hat und schluckt die Trauer in sich hinein.

In Sydney ist Sanja von ihrem schreienden Baby genervt. Ihr Mann hat ein Verhältnis mit Kaca. Die wiederum ist zynisch und verbittert, weil Ana in Belgrad den Job hat, der ihr zusteht. Ihr Mann trinkt. Der Alkohol tröstet ihn darüber hinweg, daß er zu keiner Erektion mehr fähig ist.

Gabriele Jakobi inszeniert diese ersten beiden Szenen als lockeres, komödiantisches Kammerspiel. In Decken gehüllt, zitternd auf einer Bank sitzen, schlüpfen die Schauspieler lebhaft in ihre Rollen. Sie halten sich mit den inneren Brüchen der Figuren nicht lange auf (Ausnahme: Marin Caktas) und suchen stattdessen den schlüssigen Wortabtausch. Sie spielen präzise, aber ohne Hintergrund. Wenn sie von Belgrad reden, bleiben sie kraftlos. Wenn sie aufeinander losgehen, gewinnen sie an Ausdruck.

Die letzte Szene in L.A. ist am eindrücklichsten. Ohne viel Spiel wird hier einfach der Text erzählt. Durch erinnerte Geschichten finden Mara und Jovan zueinander. Als Daca auftaucht, ein in Amerika geborener, nationalistischer Serbe, bedroht er, weil er sich nicht ernst genommen fühlt, die beiden mit einer Pistole. Es ist ein böses, ernstes Spiel um Macht und Anerkennung. Als es glimpflich ausgeht, löst sich zufällig noch ein Schuß und Jovan wird getroffen. Ein absurder, hilfloser Tod.

Zum Schluß taucht Ana doch noch auf. Als Braut gekleidet, schreitet sie schreiend in einen sich öffnenden Spiegel. Diese Illustration wird ungewollt zum Symbol für die Inszenierung. Man braucht sie nicht, um das Drama zu begreifen. Der leicht gekürzte Text ist stärker als das Schauspiel. Das ist schade. Felix Herbst

Mi-So, 20 Uhr 30, Stükke Theater, Hasenheide 54, Kreuzberg