: Frischfleisch aus der Debütanten-Dose
Von besseren Menschen und besseren Büchern: Verlegen diesseits von Profit und Expansion. Ein Einspruch ■ von Alfred Goubran
In der taz vom 3. Mai schrieb Susanne Messmer über die verbreitete Praxis von Verlagen, Autoren als Debütanten anzupreisen, auch wenn die zuvor bereits andere Bücher veröffentlicht haben. Debüts verkaufen sich einfach besser. Die kleinen Verlage, denen der „Entdeckerruhm“ eigentlich gebührte, sind dabei die Dummen – auch deshalb, weil sie ihre Autoren nicht längerfristig vertraglich an sich binden. Der Verleger Alfred Goubran, Gründer und Eigentümer des Verlags „edition selene“ in Wien, widerspricht dieser Kritik an den „Kleinen“, deren Perspektive nicht darin bestehen könne, so zu werden, wie „die Großen“ schon sind. (d. Red.)
Wenn die Reproduktion des Immergleichen als Reproduktion sichtbar wird, das Wiedergekäute, schal geworden, nur nach Wiedergekäutem schmeckt, braucht der Markt „frisches Fleisch“, um es einzudosen. Das ist der Zeitpunkt, zu dem das „Debüt“ notwendig wird. Dann sehen sich die Agenten des Marktes bei denen um, die noch „unverbraucht“ sind, die aus den Feuilletonseiten und den Regalen der Buchhandlungen verdrängt wurden. Sie sehen sich um, weil sie selbst weder die Strukturen geschaffen haben noch die inhaltlichen Voraussetzungen dafür besitzen, das Benötigte zu fördern. Im Abgedrängten, Unbesprochenen aber könnte etwas gewachsen sein – vielleicht gerade „weil“ es unbemerkt geblieben ist.
Literatur abseits der Marktbewegungen
Man muß schon an den Markt glauben, um dort den freien Handel und Austausch von „Kulturgütern“ zu sehen. Der „Buchmarkt“ hat mit Literatur nichts zu tun. Er kann das, was Literatur ermöglicht, nicht fördern – er kann es nur vernutzen. Aber er kann diese Literatur und das, was sie ermöglicht, auch nicht verhindern. Es gehört mit zur Propaganda der „Großen“ und ihren Exegeten in den Redaktionen der Feuilletons, daß die Existenz von Verlagen außerhalb des von ihnen beherrschten Marktes nicht möglich sei – und wenn, hätte sie unweigerlich den Ruin zur Folge. Aber das sind Drohungen, die erst für den bedrohlich werden, der sich nicht von den „Großen“ unterscheidet.
Jede Kritik an den Praktiken der „Großverlage“, die einen inhaltichen Unterschied nicht mit einbezieht, kann nur „Methodenbeschreibung“ bleiben, von deren anfänglicher moralischer Entrüstung am Schluß nicht viel mehr übrig ist, als der Aufruf „ran an die Töpfe“ und die Hoffnung, daß sich die (ausgebeuteten) „Kleinverlage“ vielleicht irgendwann einmal gegen die Praktiken und Übergriffe der „Großen“ werden durchsetzen können. Und wie? Indem sie die Praktiken der „Großen“ übernehmen: sechsseitige Verträge verfassen, Systeme ausklügeln, Literaturagenten beschäftigen und Optionsklauseln einführen. Das aber ist propagierte Hoffnungslosigkeit, die nur schlüssig ist, solange vermieden wird, die Verlage inhaltlich zu unterscheiden. Schon indem Worte wie „die Großen“ und „Kleinverlage“ verwendet werden, wird etwas vorausgesetzt, was es, außer in der Sprache der Etablierten, gar nicht gibt. Denn wo wäre hier die Linie zu ziehen? Moralisch ist sie nicht auszumachen – und auch ökonoisch nicht präzis bestimmbar.
Während es den „Kleinverlagen“ oft an Kapital mangelt, um zu expandieren – dieser Mangel muß nicht als Mangel spürbar sein und wird es erst in der Konkurrenz zu den „Großen“ – mangelt es den „Großverlagen“ an Inhalten. Einer der Gründe für die Dynamisierung des Marktes ist, diesen Mangel nicht spürbar werden zu lassen. Es werden immer schneller immer mehr Bücher produziert und – titelbezogen – immer weniger Bücher verkauft. Der „Buchmarkt“ verkommt zu einem Saisongeschäft. Verlage, die nicht das Kapital – oder die Infrastruktur oder die Lust – haben, bei diesem Spiel mitzuspielen, stehen nicht zur Auswahl. Ihre Bücher bleiben unbesprochen, die Leser/Käufer bekommen sie nicht zu Gesicht. Dafür sorgen schon die Verträge der Buchhandlungen mit den „Großverlagen“, Mindestumsatzgarantien bei Verträgen mit Barsortimentern und letztlich der Buchhändler selbst, der sich nicht selten weigert, Kundenbestellungen an „Kleinverlage“ weiterzuleiten. Die Ausreden sind zahlreich: Die Nebenkosten seien zu hoch, man könne es sich nicht leisten, zwei Mark extra in Kundenbindung zu investieren, das Geschäft sei flau, und schließlich lebe man doch von dem Unterschied zwischen 35 Prozent und 40 Prozent Buchhändlerrabatt. – Das kann man verstehen.
Warum aber gründet man einen Verlag, dessen Priorität es nicht ist, „Profit“ zu machen und die Existenz des Verlegers zu sichern (was ja angesichts der realen Situation am Buchmarkt ziemlich idealistisch wäre)? – Soweit es mich betrifft, muß ich sagen, daß es mir nie darum ging, einen Verlag zu „machen“, sondern in erster Linie darum, einen Verlag zu „ermöglichen“. Das setzt voraus, daß man am Anfang keine „Vorstellung“ von diesem Verlag besitzt, kein Programm und kein Schema hat, sondern mit dem beginnt, was sich einem als „möglicher Verleger“ – denn noch ist nichts entschieden – zur Veröffentlichung anbietet und vielleicht Anlaß zu dieser Unternehmung war.
Das Fehlen des „Programms“ (jeder Virus hat ein Programm), ermöglicht die Bildung von Strukturen, ermöglicht Wachstum und Entwicklung (im Gegensatz zur kalkulierten Expansion). Bildet sich nichts, ist das Unternehmen gescheitert – was aber nicht bedeutet, daß man damit ruiniert ist. Nur weil der „Profit“ nicht Priorität hat, heißt das noch lange nicht, daß man nicht „rechnen“ muß. Jedoch ist in diesem Fall die Kalkulation der grundsätzlichen Entscheidung, „ob“ man ein Buch machen will oder nicht, nachgereiht. Sie dient der Ermittlung des finanziellen Risikos, der Frage „wie“ das Buch machbar ist. Und ich habe in den sechs Jahren Verlagstätigkeit nie erlebt, daß ein Buch, für das man sich entschieden hat, nicht „machbar“ gewesen wäre.
Das gute Buch und der mögliche Gewinn
Für die Kalkulation von Bedeutung sind nicht eventuelle Profite, sondern der „Break even“, die Deckung der Herstellungskosten. Alles, was darüber hinaus verkauft und erwirtschaftet wird, sind nicht „Profite“, sondern ist „Gewinn“. Und dieser Gewinn ist es – ein Hinzugekommenes, nicht Verkalkuliertes, sei es ein Autor oder der unerwartet gute Verkauf eines Buches –, der Wachstum und Entwicklung des Verlages ermöglicht. Und von dem man leben kann.
Selbstverständlich wird man sich bei einem solchen Unternehmen nicht auf den Markt verlassen können, sondern eigene Vertriebs- und Verkaufswege finden müssen, um zu seinen Lesern zu kommen. Was man braucht, ist ja nicht viel: ein paar hundert Leser unter den 80 Millionen, ein paar Buchhändler, ein, zwei interessierte Journalisten. Und man hat ja auch etwas zu bieten. Denn das Setzen anderer Prioritäten zieht andere Inhalte an: nicht marktgerechte Autoren (oder Autoren, die als Objekte eines Verkaufskalküls nicht existieren können) oder Themen, die von den Marktstrategen zwangsläufig „übersehen“ werden, Bücher also, durch die etwas artikuliert wird, das sonst unartikuliert bliebe.
Es besteht ein Bedürfnis nach solchen Büchern. Und nach solchen Verlagen. Und man kann vom Verkauf dieser Bücher leben. Denn daß die „guten“ Bücher in den „Großverlagen“ erscheinen (vielleicht irgendwann) und der Literaturbetrieb etwas anderes ist als die Summe der Geschäftigkeiten jener, die das „Ermöglichen von Literatur“ gegen die Befestigung ihrer Existenzangst eingetauscht haben – daran muß man schon glauben. Wie man daran glauben muß, daß in der „besseren Gegend“ die besseren Menschen wohnen.
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