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Der Galaotrinker  ■ Von Joachim Frisch

Der portugiesische Galao, ein Espresso mit viel Milch, unterscheidet sich vom Café au lait, dem französischen Milchkaffee, eigentlich nur dadurch, daß er in einem Wasserglas serviert wird. Der wahre Unterschied aber ist ein anderer: Café au lait ist out, Galao in. Café au lait trinkt heute jeder Schuhverkäufer, Galao dagegen ist der Geheimtip der Hipster.

Der Galaotrinker ist kreativ. Er ist Freelancer in der Multimediaszene. Wenn er sich von seinen kreativen Schüben erholt, und er muß sich oft erholen, steht er lässig am Tresen der portugiesischen Cafébar herum. Sobald sich nur ein Sonnenstrahl durch die Wolken drängt, drängt es ihn nach draußen. Dann steht der Galaotrinker auf dem Gehsteig vor der portugiesischen Cafébar herum, wärmt sich die linke Hand mit dem Galaoglas und gestikuliert elegant mit der rechten. Das hat der deutsche Galaotrinker im letzten Urlaub in Portugal von dem portugiesischen Galaotrinker gelernt Natürlich war er nicht im Algarve – der deutsche Galaotrinker sagt „im Algarve“ und nicht „an der Algarve“ wie der tumbe Pauschaltourist –, denn er weiß, daß dort der Galao wegen des Pauschaltouristen schon instant und in Tassen serviert wird.

Der deutsche Galaotrinker war in Lissabon, in Coimbra, in Porto, an der Westküste, im echten Portugal, wo echte Portugiesen echten Galao stilecht aus dem Glas trinken und dabei so souverän herumstehen, als habe sich zum letzten Mal bei dem Erdbeben von 1755 ein portugiesischer Galaotrinker aus der Ruhe bringen lassen. Den deutschen Galaotrinker bringt dagegen bereits sein eigenes Handy aus der Ruhe, vor allem dann, wenn es kein Signaljingle von sich gibt – von Klingeln kann ja längst nicht mehr die Rede sein. Spätestens nach drei Minuten fummelt er das Handy aus der Designerjakke und überprüft alle Funktionen, weil er es nicht fassen kann, daß noch immer kein Art-Director, Produzent oder Agent angerufen hat – was das portugiesische Lebensgefühl empfindlich stört. Zumal ja vor der Cafébar bei mehr als 7 ° Celsius mindestens 100 Galaotrinker herumstehen, von denen ein großer Teil in den Designerjakken herumfummelt, so daß man als Beobachter den Eindruck kriegt, jemand habe eine Tüte Juckpulver oder einen Sack Krabbelkäfer über den Galaotrinkern ausgeschüttet. Und weil der deutsche Galaotrinker alle dreieinhalb Minuten einen seiner Artgenossen anruft, um die Funktion seines Handys zu überprüfen, wird das Gefummel und Gezappel musikalisch von einer Kakophonie merkwürdiger Handyjingles untermalt, denn der deutsche Galaotrinker hat enorm kreative, originelle und lustige Jingles programmiert. Der König der Witzischkeit erfreut sein Fußvolk mit dem Kehrreim „Kein Schwein ruft mich an ...“ (Nokia-Klingelsignal Nr. 10), so selbstironisch und kokett, daß es die Sau graust.

So wird der deutsche Galaotrinker nie die Souveränität des portugiesischen Galaotrinkers erreichen. Allerdings wird er auch nicht mehr lange Galaotrinker sein, denn spätestens wenn sich galaotrinkende Schuhverkäufer und Arzthelferinnen zu ihm gesellen werden, wird er sich auf der weiten Welt ein neues Lebensgefühl aussuchen und seine kreativen Pausen wahrscheinlich stilecht als honduranischer Kakteenfruchtschlürfer verbringen.

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