: Ein Signal der Unbeugsamkeit
In den Rwenzori-Bergen an der Grenze zwischen Uganda und Kongo wird eine Hochschule wiederaufgebaut. Vor einem Jahr war sie Ziel eines Angriffs von Rebellen. Die können jederzeit wiederkommen ■ Aus Kichwamba Dominic Johnson
Die kleine grüne Anhöhe ist aus der Ferne kaum zu erkennen. Viel zu unscheinbar ist sie im Schatten der Rwenzori-Berge, deren mächtiger dunkler Kamm unter düsteren Wolken den Horizont beherrscht. Am Fuße der Bergkuppen werden die Hügel sanfter, kleine Gehöfte schmiegen sich an die Hänge, Bauernhütten umgeben von Bananenstauden säumen schlammige Wege. Im Tal verläuft die Fernstraße, die von der Stadt Fort Portal Richtung Kongo führt. Und auf der anderen Straßenseite, hinter einigen Baumkuppen, steht auf einer kleinen grünen Wiese ein weißer Stein.
„Hier liegen die sterblichen Überreste der Hochschulstudenten, die am 8. Juni 1998 von den Rebellen der ADF in ihren Schlafsälen verbrannt wurden und am 11. Juni 1998 begraben wurden“, steht auf dem Stein in schlichter schwarzer Schrift. „Mögen ihre Seelen in ewigem Frieden ruhen.“ Es folgen 27 Namen.
Das Massaker in der Hochschule von Kichwamba unweit von Fort Portal im äußersten Westen Ugandas, nahe der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo, am 8. Juni 1998 war einer der schlimmsten Einzelvorfälle im Krieg, den die ugandische Rebellenbewegung „Allied Democratic Forces“ (ADF) gegen die Armee und die Zivilbevölkerung der Gegend führt. Nach inoffiziellen Angaben sollen bis zu 80 Studenten ums Leben gekommen sein, als die Rebellen in der Nacht die Schule überfielen und die Gebäude anzündeten.
Das Massaker erregte ganz Uganda, denn Kichwamba ist die Eliteschule des Landes für agrartechnische Ausbildung. Es war einer der Auslöser für den Einmarsch der ugandischen Armee im Kongo im August 1998, unter dem Deckmantel der Unterstützung für kongolesische Rebellen – und damit Mitverursacher von Afrikas größtem internationalen Krieg.
Heute wird in Kichwamba wieder gelernt. Im vergangenen November wurde die Schule wiedereröffnet. 130 Studenten sind es inzwischen wieder, allesamt im ersten Studienjahr. Die Überlebenden des Massakers sind nicht mehr hier, sie wurden an andere Bildungseinrichtungen im Land verlegt.
Es ist Sonntag, also schulfrei, Gruppen von Studenten sitzen vor ihren Wohnheimen, essen Bohnen aus kleinen Schüsseln und blicken auf die Berge. Die kleine Anhöhe mit dem weißen Stein ist hinter einigen einstöckigen Unterrichtsgebäuden verschwunden. Eine pastorale Idylle – scheinbar.
„Wir fühlen uns jetzt sicher hier“, sagt der Agraringenieursstudent Denis Hakizamungu, der die Besucher durch das Gelände führt. Er zeigt einen kleinen Feldweg hinunter. Dort ruht vor einem Backsteingebäude ein großer Panzerwagen. Etwa 20 Soldaten, so heißt es, schützen die Schule Tag und Nacht. Das ist neu: Beim Massaker im vergangenen Jahr blieb die Armee, die ganz in der Nähe stationiert war, merkwürdig untätig. Jetzt soll es keinen Vorwand fürs Nichtstun mehr geben.
Mehr noch: Kichwamba wird wiederaufgebaut, schöner und größer als vorher. Eine chinesische Firma hat die Bauarbeiten übernommen; das Geld kommt vom Entwicklungsfonds der Opec. Es soll schnell gehen. Sogar jetzt am Sonntag nachmittag wird geschuftet. Kettenrauchende junge Chinesen sitzen auf den Dachträgern halbfertiger Gebäude und treiben mit heftigen Armbewegungen und einem Kauderwelsch aus Sprachen mehrerer Kontinente die ugandischen Arbeiter an.
Der Rohbau des neuen Hauptgebäudes steht schon, ebenso einige andere Einrichtungen. Holprige Wege und Pisten durch das hohe Gras verbinden die verschiedenen Teile des Schulgeländes miteinander. Einige der ausgebrannten Wohnheime stehen noch als Ruinen voller Gerümpel, andere wurden bereits renoviert.
Die Einrichtung ist schlicht. Dicht an dicht stehen acht hölzerne Doppelstockbetten in einem kleinen Raum mit nur einem Fenster; jedes davon ist bewohnt – das obere zum Schlafen, das untere als Stauraum für Kleidung und Studienmaterial. „Das Haus des Friedens“ steht an einer schmutzigweißen Wand gemalt und „Unwissenheit ist keine Verteidigung“. Dies ist nicht nur eine Schule. Es ist eine Kriegsfront.
Denn die Idylle trügt. Ugandas Einmarsch im Kongo vergangenes Jahr hat die ADF-Rebellion nicht zerschlagen, sondern nur wieder nach Uganda hineingetrieben. Im Distrikt Bundibugyo – der hinter den Rwenzori-Bergen liegt, aber noch zu Uganda gehört – sind Überfälle der Rebellen an der Tagesordnung. Hunderte Menschen sind ums Leben gekommen, bis zu 100.000 Bauern aus ihren Bergdörfern in die Distrikthauptstadt geflohen, wo sie elendig campieren. Internationale Helfer wagen sich nur selten die schmale staubige Straße entlang, die sich an den steilen Hängen entlang hinter die Berge nach Bundibugyo schlängelt.
Die Rwenzori-Berge, auch Mondberge genannt, sind eines der höchsten Gebirgsmassive Afrikas und bilden das Zentrum der Wasserscheide zwischen Nil und Kongo. Seit Menschengedenken beherbergen sie mystisch angehauchte Widerstandsbewegungen und bewaffnete Gruppen. Lange Zeit waren hier Rebellen aktiv, die sich der Ausbreitung des Königreichs Toro aus Fort Portal hinauf in die Berge widersetzten. Dazu kamen in den 90er Jahren radikale Islamisten. Aus den beiden Strömungen entstand die ADF, die zunächst nur mit kleinen Angriffen auf Bergdörfer und durch Geiselnahmen auf sich aufmerksam machte.
Heute ist die ADF nach Einschätzung von Experten stärker denn je. Ugandas Regierung beschuldigt den Sudan, sie aufzurüsten, und kündigt regelmäßig noch intensivere Militäroperationen in den Bergen an. In der Distrikthauptstadt Fort Portal werden immer wieder Jugendliche unter dem Verdacht der Unterstützung für die ADF festgenommen. Es zirkulieren Gerüchte über in letzter Minute gescheiterte Bombenanschläge. Niemand scheint zu wissen, wo genau die Rebellen aktiv sind und wie weit der Krieg sich schon aus den Bergen in die Täler hinein ausgedehnt hat. Und angesichts der zunehmenden Unfähigkeit der Armee, den Krieg zu beenden, mehren sich Vermutungen, daß hohe Offiziere die Rebellion möglicherweise selbst unterstützen.
Die Kämpfer der ADF, die kaum je öffentlich mit identifizierbaren Führern in Erscheinung treten, betrachten das westliche Ausland insgesamt wegen seiner Unterstützung für Ugandas Regierung als Feind. Kürzlich drohte eine „National Army for the Liberation of Uganda“ (Nalu), die sich als identisch mit der ADF präsentierte, mit der Hinrichtung jedes Europäers oder US-Amerikaners, der Uganda besuche. In einer Nalu-Erklärung vom 4. April verbreiten die Rebellen ihr Weltbild: „Ruandas Tutsi wollen unser Land und ihre US-Paten sind bereit, es ihnen zu geben, solange die Tutsi dem State Department loyal bleiben.“
Der Student Denis Hakizamungu in Kichwamba ist ruandischer Tutsi und damit – ob er es will oder nicht – Zielscheibe. Er ist zur Selbstverteidigung bereit. Drei Monate lang hat er in einer „Politischen Schule“ in Ugandas Hauptstadt Kampala Schießen, Nahkampf und Ideologie gelernt. Mit Militärdienst habe das nichts zu tun, erläutert er: „Im Wehrdienst lernt man, sich kollektiv zu bewegen und zu verhalten. Bei uns ging es nur darum, sich selber schützen zu können.“ Er fügt hinzu: „Die meisten von uns hier sind ausgebildet.“
Daß sie das brauchen, wissen sie nur allzu gut. „Zu Ostern haben die Rebellen versucht, hierher zurückzukommen“, erzählt Denis, „aber als sie das Panzerfahrzeug sahen, gingen sie wieder weg.“
Das muß nicht so bleiben. Die Regierungstruppen machen nicht immer den aufgewecktesten Eindruck. Wenn die Wachposten an der Einfahrt zur Schule das Besucherauto anhalten, dann nicht zum Sicherheitscheck, sondern um Zigaretten zu schnorren. In der ganzen Gegend gibt es keine Straßenkontrollen. Die Lehrer von Kichwamba wohnen aus Sicherheitsgründen nicht auf dem Schulgelände, sondern in der Distrikthauptstadt Fort Portal.
Bei der Weihe eines neuen katholischen Bischofs für Fort Portal an diesem Wochenende ist der Krieg in allen Köpfen präsent. Der Prediger wird deutlich: „Hier herrschen Haß statt Liebe, Feindschaft statt Nachbarschaft“, sagt er, „entgegen der christlichen Botschaft der Nächstenliebe.“ Diese Botschaft sei „so dringlich in unserem Land heute und in unserer Gegend, wo die Leute sie vergessen haben.“
Der Wiederaufbau von Kichwamba ist da mehr als bloß ein Versuch, die Schäden des Krieges zu reparieren. Die Schule ist ein Vorzeigeprojekt, ein Symbol des ugandischen Staates für die Bevölkerung des Rwenzori: Wir weichen nicht zurück, lautet die Botschaft.
Die Bauarbeiten sollen bis Juli beendet sein; im Jahr 2000 soll die Hochschule sogar zum Polytechnikum hochgestuft werden – das einzige des Landes. Wer eine gute technische Ausbildung haben will, muß dann hierherkommen, an den Fuß der dunklen Berge.
Der Ort, wo vor genau einem Jahr Dutzende Studenten bei lebendigem Leib verbrannten, wird dann nicht mehr wiederzuerkennen sein. Nur das weiße Denkmal mit den 27 Namen auf der kleinen grünen Anhöhe wird noch daran erinnern.
„Hier herrschen Haß statt Liebe, Feindschaft statt Nachbarschaft, entgegen der christlichen Botschaft der Nächstenliebe.“
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