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Kleine Pläne, kleine Kriege

■ „Besame mucho“ ist die Entdeckung des Festivals „Italia! Cinema!“. Wir sprachen mit Regisseur Maurizio Ponzi und Drehbuchautor Piero Spila

Ein Tunesier fährt zur Hochzeit seiner Schwester und darf nicht wieder einreisen, ein Bankraub scheitert, ein Emigrant kehrt aus den USA zurück,, Strafgefangene führen ein Theaterstück auf, ein illegaler Bau versperrt den Blick nach Capri, eine ehemalige Heroin-Süchtige wartet auf eine Nierenspende – Besame mucho baut kaleidoskopartig ein Bild des heutigen Italiens. Regisseur Maurizio Ponzi und Drehbuchautor Piero Spila standen Rede und Antwort.

taz: Das Festival „Italia! Cinema!“ behauptet implizit eine gemeinsame Identität für das neue italienische Kino. Gibt es diese und worin besteht sie?

Maurizio Ponzi: Ich glaube nicht, daß die zehn Filme des Festivals etwas gemeinsam haben, außer daß sie im letzten Jahr in Italien gemacht wurden. Alle haben mehr oder weniger große Probleme ins Kino zu kommen und ihr Publikum zu finden, weil sie sich den Anforderungen des Marktes verweigern. In Italien laufen derzeit nur Komödien mit populären Schauspielern wirklich gut, alles andere hat es sehr schwer gegen Hollywood. So sucht jeder eigene Wege, und es besteht nur wenig Kontakt. Es gibt viele Unterschiede in bezug auf Stoffe, Umsetzung und Arbeitsweisen.

Piero Spila: Ich glaube doch eine gemeinsame Linie zu sehen, die dahin geht, sich verstärkt der Wirklichkeit zu öffnen. Noch vor fünf Jahren erzählte man Geschichten, die nur auf sich selber verwiesen – teilweise sehr gut wie bei Nanni Moretti, teilweise auch sehr schlecht. Heute ist man wieder dichter an der Realität. Früher gab es Kämpfe und Widersprüche und auch große Utopien, heute gibt es nur noch kleine Auseinandersetzungen und kleine Pläne. Überall herrscht Konfusion.

Wie ist es um die allgemeine wirtschaftliche Lage des italienischen Films bestellt?

Maurizio Ponzi: Das US-Kino gerät immer mehr zum Spektakel-Kino, deshalb müssen wir in Europa kleine Geschichten erzählen, in der Hoffnung, daß das Publikum nicht nur das neueste Computerspiel sehen will, sondern sich auch einmal in ein altmodisches Auto verliebt. Durch die Synchronisation ist das Publikum an eine nivellierte Hochsprache gewöhnt wie sie in den Nachrichtensendungen gesprochen wird, deshalb haben die Zuschauer oft Probleme mit einem „normalen, echten Italienisch“. Es ist paradox, aber die USA haben uns in unserer eigenen Sprache kolonisiert.

Der Film enthält zahlreiche Figuren und Handlungslinien, die jedoch nicht willkürlich zusammengeführt werden, sondern ein organisches Ganzes bilden und nie wie ein Episodenfilm wirken.

Maurizio Ponzi: Das ist richtig, die Geschichten gehören unbedingt zusammen und könnten nie mehrere Kurzfilme ergeben. Eine Figur stand im Mittelpunkt, und eigentlich sind die anderen nur andere Gesichter von ihm. Die Geschichten sind alle wahr, wir haben sie in den letzten zwanzig Jahren selbst erlebt oder erzählt bekommen.

Der Film ist äußerst ironisch, ohne in modischen Zynismus zu verfallen. Inwiefern stellt Besame mucho eine bewußte Abkehr von formalen Spielereien à la Pulp Fiction dar – ein Wechsel von einer abgeklärten zu einer aufgeklärten Haltung?

Maurizio Ponzi: Der Film handelt von der Güte, deshalb mußte er ironisch sein, um nicht süßlich zu wirken. Wir wollten ihn mit einer Leichtigkeit und einem Lächeln erzählen. Das Böse sollte außerhalb des Bildes bleiben, aber doch anwesend sein: Nur durch die Glastür sieht man die Silhouette des bösen Bürokraten, wenn die Hauptfigur die Aufenthaltsgenehmigung seines Stiefsohnes verlängern will.

Piero Spila: Und doch wird hier ein formales Mittel aufgegriffen, denn die Einstellung, aus der man seinen Weg zur Behörde sieht, ist immer dieselbe. Aber die Figur wird jedesmal langsamer, wenn er den Weg auf sich nimmt. Dieser Gang ist ja so etwas wie der Refrain des Films, der in der steten Wiederkehr auch die Veränderung der Figur beschreibt.

Maurizio Ponzi: Genau. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, aber vielleicht hat unser Film wirklich die Struktur eines Liedes, denn auch der Titel Besame mucho ist der Titel eines Liedes.

Im Theaterstück im Film fällt der Satz „Nicht einmal Ihr seid reich genug, Eure Vergangenheit auszulöschen“. Die Vergangenheit kehrt immer zurück, ist dies das Motto des Films?

Maurizio Ponzi: Oscar Wildes Sätze sind immer emblematisch, man kann vieles dahinter sehen. Ich hatte bei diesem Satz an eine Warnung an die Mächtigen gedacht. Und gleichzeitig an Berlusconi – aber das hat bisher noch niemand bemerkt.

Interview: Malte Hagener

„Italia! Cinema!“ läuft noch bis Freitag im Zeise-Kino, und „Besame mucho“ ist noch einmal morgen um 22.30 Uhr zu sehen.

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