: „Jeder zitiert doch das Leben“
■ In einem Fernsehkrimi fallen Sätze, die vorher schon in einer Reportage gesagt wurden: Zwei TV-Reporter nennen den Regisseur Dominik Graf deshalb einen Plagiator
Vor 48 Stunden wurde es dann doch unruhig beim Evangelischen Presseverband (EPV) in München. Gästelisten mußten gefaxt, letzte Absprachen fürs Buffet getroffen werden: Am heutigen Mittwoch sollte doch der Robert-Geisendörfer-Preis '99 verliehen werden – ein Preis, den zwar kaum jemand kennt, den die evangelische Kirche aber dennoch alljährlich u. a. an zwei TV-Produktionen vergibt.
Und ausgerechnet jetzt kam der Geschäftsführerin Murri Selle auch noch dieser Offene Brief zweier Berliner TV-Reporter auf den Tisch. Enrico Demurray und Stefan Pannen hatten nämlich vor anderthalb Jahren für die ARD einen gelungenen Film über den Berliner „Rotlichtprinzen“ Steffen Jacob gedreht (Erstausstrahlung: 8. 11. 96) und bemängelten an dem für preiswürdig befundenen ZDF-Fernsehfilm „Sperling und der brennende Arm“ (Erstausstrahlung: 23. 10. 98), er sei ein „Plagiat“. Es handele sich bei dem ebenfalls im Berliner Rotlichtmilieu angesiedelten Krimi „in Teilen um keine eigenschöpferische Leistung“ der „offensichtlich phantasiearmen Macher“.
Ein schwerer Vorwurf, zumal der Krimi nach einem Drehbuch von Rolf Basedow ausgerechnet unter der Regie von Dominik Graf entstanden war, einem der (trotz seiner sperrigen Arbeiten) erfolgreichsten deutschen TV-Filmer. Gleichwohl sind die in dem Offenen Brief aufgelisteten Parallelen frappant: Sagte der echte „Rotlichtprinz“ etwa: „Heute regiert die Kalaschnikow, heute regiert das schnelle Messer, bloß ich bin zu alt dafür, ich bin zu alt für den Sumpf“, so heißt's im ZDF-Krimi: „Heute regiert die Kalaschnikow, heute regiert das schnelle Messer. Aber ich bin zu alt für den Sumpf.“
Mehrere solcher Übereinstimmungen – auch in „Kameraführung und Positionierung der handelnden Personen“ – haben die Reporter entdeckt und beschlossen, ihre Beobachtung öffentlich zu machen. Eine Entscheidung, die Regisseur Dominik Graf „vorschnell“ findet.
Graf selbst hält die Übereinstimmungen „nicht für so wahnsinnig verblüffend.“ Den ARD-Beitrag habe er sogar seinen Darstellern zur Rollen-Vorbereitung vorgespielt. Doch wenn seine Spielszenen in derselben Kneipe gedreht seien wie die Reportage – dann sähen Leute, „wenn sie am Tresen stehen und reden“, nun mal ähnlich aus.
Drehbuchautor Rolf Basedow nimmt den Plagiatsvorwurf noch gleichmütiger: Er habe Steffen Jacob für sein Drehbuch nämlich ebenfalls lange interviewt. Ja, und da habe ihm Jacob wohl teils die selben, griffigen Sätze ins Diktaphon gesprochen. „Jeder Autor zitiert doch irgendwo das Leben!“ meint denn auch der verantwortliche ZDF-Redakteur Alexander Ollig und findet sein philosophisch anmutendes Resümee prompt in Basedows neuem Projekt bestätigt: Der nämlich will anhand der inzwischen die 20 Stunden Tonbandmaterial aus Jacobs bewegtem Leben ein weiteres Fictiondrehbuch machen.
Letztlich aber fragen sich alle, warum sich die Reporter eigentlich erst jetzt empören. Doch die Antwort – es sei eben dies und das dazwischengekommen – will schon niemand mehr wissen.
Womöglich zu Recht. Denn natürlich rechtfertigen die beobachteten Parallelen die Frage nach dem Plagiat. Doch weil die Reporter, die sich immerhin nicht davor drücken, monatelang im Rotlichtdickicht zu recherchieren, ihre Anwürfe so blauäugig abschickten, stehen sie nun da wie zwei kleine Jungs beim Detektivespielen, während Graf und Basedow heute um 11 Uhr ihren Preis entgegennehmen, als wär' nix gewesen. Es gibt schließlich wichtigeres.
Denn wie sagte die EPV-Organisatorin, als sie am Montag letzte Details mit dem Preisverleihungscatering besprach? „Hauptsache, der Kartoffelsalat ist schwäbisch!“
Christoph Schultheis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen