piwik no script img

Gegurke, falsche Diskurse und später Glanz

■ Ein Rückblick auf die „Unterhaltungsgala gegen die repressive Wirklichkeit“

Natürlich waren alle gekommen zur „1. großen Unterhaltungsgala gegen die repressive Wirklichkeit“, wie das von der Hamburger Semi-Prominenz am vergangenen Freitag organisierte Spektakel benannt wurde. Manche kamen sogar dem Anlaß entsprechend in Abendgarderobe. So auch die Conferenciers Hans Manko und Diana Diamond von den Mobylettes, die im Powerhouse charmant durch den Abend schlingerten.

Es wurden Tänzer angekündigt, die kaum jemand sehen, Ansprachen gehalten, die kaum einer verstehen konnte. Oder aber alles wurde bis zum Kältetod wiedergekäut. Denn schließlich ging es ja um einen guten Zweck, und so einer darf schon mal in die Hirne des vergnügungssüchtigen Publikums gemeißelt werden. Es ging – auch wir wiederholen es noch einmal – um die Freiheit für Andreas, Ralf, Rainer und Werner, die zu den insgesamt acht Verhafteten im Verfahren gegen die linke Zeitschrift Radikal gehören. Angesichts des Gedränges im einen Veranstaltungsort Powerhouse konnte Hans Manko so bereits zu Anfang verkünden, daß das finanzielle Ziel der Solidaritäts-Veranstaltung erreicht sei.

Doch während man ihm lauschte, wurde aus dem benachbarten Heinz Karmers Tanzcafé, dem zweiten Veranstaltungsort, von Tumulten berichtet. Nachdem King Rocko Schamoni an der Ironiespirale gedreht hatte, konnte man dort vom Szene-Faktotum Kai Klausner, der wie der Journalist René Martens zum Mikro griff, unerhörte Nestbeschmutzungen vernehmen. Er soll von linker wie rechter Intoleranz gesprochen und so am falschen Ort einen falschen Diskurs aufgemacht haben. Wir waren – wie so häufig – gerade am falschen Ort und geben hier nur das Hörensagen wieder.

Garantiert am richtigen Ort war man allerdings, als langsam die Platzhirsche der Hamburger Schule einliefen. Kristof Schreuf von Brüllen meldete sich, völlig unerwartet, eindrucksvoll als hyperventilierender Bluesgitarrist samt Barhocker zurück. Der gewohnt verschlossene Tobias Levin nahm mit Laurie Wall darauf für feinere Töne ein und bereitete den Auftritt Jochen Distelmeyers vor. Dieser vergriff sich zwar nicht wie angekündigt an „White Christmas“, aber an „Last Christmas“ von Wham, und manch einer im Publikum wollte dabei wirklich sein Herz oder wenigstens all seine Zigaretten verschenken. Als Distelmeyer sich trotz seines verhuschten Äußeren als White-Soul-Ikone installierte, war man sich einig, hier einem der raren Pop-Momente des Jahres beigewohnt zu haben, der für manch dröge Quiz-Einlage und selbstdarstellende Ich-Maschinen mehr als entschädigte.

Volker Marquardt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen