: Menschen als Ornament und Struktur
Hinrichtungsräume und Bibliotheken: Kann man seinen Augen noch trauen? Das Kunsthaus Bregenz zeigt fotografische Studien zum Thema „Räume“ von Lucinda Devlin, Candida Höfer und Andreas Gursky, dem heimlichen Star der Ausstellung ■ Von Nike Breyer
Räume sind mehr als dreidimensionale Geometrie. Sie bezeichnen die Innen-, genauer noch die Erlebnisseite der Architektur, die das begriffgewordene Raumgefühl hervorruft. Sie sollen ihrem Benutzer dienen, doch zugleich prägen sie ihm ihre Regeln auf. Fotografisch festgehalten, erweisen sich Räume als hochinteressante Diagramme über den Dialog von Mensch und Architektur, je nach Perspektive des Betrachters in immer neuen Lesarten.
Das Kunsthaus Bregenz hat seine aktuelle Ausstellung dem Thema Räume gewidmet und zeigt unter diesem Titel vereint die extrem unterschiedlichen Arbeiten von Lucinda Devlin, Candida Höfer und Andreas Gursky.
Hinrichtungsräume in Gefängnissen der USA als Sujet? Die Amerikanerin Lucinda Devlin hat sich Anfang der 90er Jahre in ihrer „Omega Suits“ betitelten Werkreihe mit diesen letzten Räumen auseinandergesetzt. Ihre Bilder präsentieren sich überraschend lakonisch und emotionslos, fast beiläufig. Es ist keine sichtbare Anklage auszumachen, nur das Spiel mit Information, das tiefe Verunsicherung auslöst. So wirken die auffällige Klarheit und Rationalität der gezeigten Räume und Objekte gerade darum so verstörend, weil sie in anderem Kontext durchaus als ästhetisch wahrgenommen werden können. Es ist das Wissen um ihre tödliche Bestimmung, welches den Blick codiert. Kann man danach seinen Augen noch trauen?
Die zweite Etage des Hauses ist den Bibliotheken und Lesesälen von Candida Höfer gewidmet, detailreichen Studien über Räume im Dienst von Archivierung und Systematisierung des Wissens. Das zunehmende Schwinden dieser technisch überholten Form von Informationsverwaltung gibt Höfers Fotografien, die Ende der 90er Jahre entstanden, aktuellen dokumentarischen Wert.
Im Erdgeschoß schließlich sind fünf neue Arbeiten von Andreas Gursky zu sehen, die nicht nur durch ihre raumgreifenden Gigaformate zum stärksten Eindruck der Ausstellung werden. Daß sie in Bregenz zum ersten Mal zu sehen sind, will Kunsthausdirektor Edelbert Köb festgehalten wissen, nachdem Gursky infolge eines satten Popularitätsschubs in letzter Zeit in verschiedenen großen Ausstellungen vertreten war.
Räume, so erklärt Gursky seinerseits, seien kein Schwerpunkt seiner Arbeit, die hier gezeigte Auswahl somit eher untypisch. Um so überraschter erlebt der Besucher, daß seine Bilder fast beängstigend perfekt mit dem räumlichen Kontext zusammenarbeiten. Gurskys ungewöhnliche, dreigeteilte Sicht auf den Bonner Bundestag oder auch der durch extreme Fluchtlinien dynamisierte Einblick in den wolkenkratzerhohen Innenhof eines Hotels in San Francisco erscheinen hier nicht als die üblichen auf die Wand applizierten Bildmotive, sondern schaffen visuelle Durchbrüche, in magischer Kontamination von Realität und Virtualität.
Dieses atmosphärische Moment läßt sich in vielen Arbeiten Gurskys aufspüren. Doch im Umfeld aus Mattglas, Stahl und hohen Wänden aus Beton, mit denen der Architekt Peter Zumthor der Kunst einen atemberaubend modernen Container gebaut hat, wird es über die Ufer des Bildrandes hinaus wirksam. Denkbar, daß sich dieser Effekt einem bewußt in seine Bilder eingebauten Subtext verdankt. Das Spiel, so Gursky, Bildstrukturen auf verschiedenen Ebenen lesen zu können, verfolge er ganz bewußt.
Besonders augenfällig wird dies an seinem hier gezeigten „Constable“. Auf den ersten Blick erkennt der Betrachter ein gemaltes Waldstück, schaut er genauer hin, wird ihm aber klar, daß er sich in mikroskopischen Bereichen bewegt. Für diesen Wahrnehmungseffekt hat Gursky einen im original etwa DIN-A 4-großen Ausschnitt aus einem Gemälde des englischen Malers auf knapp zweimal drei Meter hochgezogen.
Obwohl es sich inzwischen herumgesprochen hat, daß Gursky seine Bilder auch digital bearbeitet, will er dem selbst keine größere Bedeutung beimessen. Die Referenz zur wirklichen Welt sei immer gegeben und stünde gemeinsam mit der künstlerischen Zielsetzung im Vordergrund. Es gelte, sich die Optionen offenzuhalten.
Nicht zuletzt durch diesen Schritt hat sich der 1955 in Leipzig geborene Künstler, der in Düsseldorf bei Bernd und Hilla Becher studiert hat, von seinen Lehrern gelöst und einen eigenen Weg eingeschlagen. Auf der Ebene der Bildwahl entspricht dies einer Abwendung von den industrialisierten und urbanisierten Landschaften seiner Frühzeit hin zu gesellschaftlichen Themen, beispielsweise „Formen eines zeitgenössischen Versammelns“. Was sich als Blick auf eine Rave-Society ebensogut formulieren kann wie auf die zusammengeflockten Menschengruppen bei einer namentlichen Abstimmung im Bonner Bundestag. In Zukunft werde es, kündigt Gursky an, noch eine stärkere thematische Öffnung in diese Richtung geben, und alle jene Lebensbereiche, denen man in Zeitung und Fernsehen als Sport, Politik oder Wirtschaft begegnet, sollen ihr Echo in seiner Arbeit finden.
Dabei kommen Menschen als Individuen bei Gursky bekanntlich nicht vor. Selten sind sie in seinen Bildern mehr als fliegengroß, und oft genug erscheinen sie wie die störende Verunreinigung einer höheren ästhetischen Ordnung. In massenhafter Anhäufung erstarren sie zum Ornament und werden damit selbst zu Struktur, die – ob großflächig, graphisch oder als kleinteiliges allover – in Gurskys Fotografien durchgängiges Organisationsprinzip ist. Sie gibt den Bildern über ihre erzählerische Ebene hinaus eine maximale formale Geschlossenheit. Das kann sich bis zum Eindruck einer unterkühlten Eleganz verdichten, die – jenseits üblicher Klischees – in Mathematik und Goldenem Schnitt ihren Ursprung hat.
Bei „Prada vier“ etwa trägt ein streng modular aufgebautes Regal die graphische Organisation des Bildes. In der vierten Variation dieses Bildschemas stapeln sich nun schwarze Pullover des italienischen Kultlabels im Raster dieses Regals. Hält man sich Gurskys panoramische Großansichten von Hotels, Börsen und Landschaften vor Augen, überrascht diese fast obsessive Behandlung eines bekannten Fetischs der Warenwelt. Das auslösende Moment für seine Bilder, erklärt dazu der Künstler selbst, seien eigentlich immer visuelle Erlebnisse. Im Fall von „Prada vier“ sei das ein Geschäft in Los Angeles gewesen, wo er sich wegen Ausstellungsvorbereitungen aufgehalten habe. Durch seine Vorarbeiten sensibilisiert, seien ihm die schwarzen Pullover aufgefallen, die sich wie kleine Skulpturen der linearen Erzählstruktur des Regals entgegenstellten, was ein in sich fertiges Bild ergab. Interessant sei für ihn auch das Schwarz der Pullover gewesen – als quasi symptomatische Farbe der neunziger Jahre. Dabei transportiert ja schon der Name Prada selbst diesen von ihm angestrebten Zeitbezug, hat das Label doch wie kaum ein anderes unsere aktuelle ästhetische Weltordnung des Konsums vorgegeben und geprägt und hält dabei von Saison zu Saison aufs neue jenen mythischen Standort besetzt, der durch maximalen Chic auf der Höhe der Zeit gekennzeichnet ist. Maximale künstlerische Prägnanz auf der Höhe der Zeit darf man dafür Andreas Gursky zusprechen.
KUB/Kunsthaus Bregenz. Bis 26. Juni 1999. Katalog 154 S., Verlag Walter König, 320 öS
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