Pudelgroße Grillen

Ein Romantiker und Schwerenöter: Mit lautem Geschrei will sich der Wachtelkönig seine Braut vom Himmel holen  ■ Von Gernot Knödler

Der Wachtelkönig hat ein Gottvertrauen, das unsereinem abgeht: Will er sich paaren, stellt er sich einfach in die Wiese und brüllt solange, bis ihn ein Weibchen im Überflug erhört. Da kann der 20 Zentimeter hohe Wicht allerdings lange brüllen: 5000mal pro Nacht nämlich, haben die Ornithologen überschlagen – und das wochenlang.

Wachtelkönige gibt es wenige: in ganz Deutschland bloß tausend, in Hamburg in diesem Jahr 19 – praktisch alle im neu ausgewiesenen Europäischen Vogelschutzgebiet „Moorgürtel“ zwischen Neugraben-Fischbek und den Francoper Obstwiesen. Gezählt haben die Vogelkundler allerdings nur die Männchen, denn nur die können sie hören. „Crex crex“ schnarren sie, und genauso lautet auch der lateinische Name der Art.

Wer in einer lauen Mai- oder Juninacht unter kundiger Führung durch die Wiesen trabt, kann mit Crex crex sein blaues Wunder erleben. Er wird die sandigen Wege entlang der breiten Knicks voranstolpern, und dann wird er Grillen zirpen hören. „Ausgesprochen laute Grillen“, wird er denken und weitergehen. „Oder Frösche, Ochsenfrösche“. Und er wird stehen bleiben und angestrengt in die Wiesen gucken, um herauszufinden, woher dieser infernalische Lärm kommt. „Pudelgroße Grillen“ wäre auch eine Möglichkeit.

Aber sein Führer wird ihm erklären, daß dieses Schnarren der Ruf des Wachtelkönigs ist, das sich jetzt, nach zweifelsfreier Identifizierung durch den Fachmann, ganz anders genießen läßt. Und plötzlich sind sie dann überall, die kleinen Schreihälse: links und rechts, 20 Meter weiter zwischen den Stauden und irgendwo vor den Lichtern der Dasa am Horizont.

Die Wachtelkönige bilden „Rufgruppen“. Hier selbstzweiflerisch-therapeutische Motive zu vermuten, geht jedoch weit in die Irre. Nein, der kleine balzende Vogel versucht bloß, mit größerer Effizienz die Aufmerksamkeit seiner Artgenossinnen zu erregen: Drei oder vier Wachtelkönige zusammen schreien eben lauter als einer.

Das ist auch nötig. Schließlich wollen die Könige von in mindestens zweihundert Metern Höhe vorbeidüsenden Damen erhört werden. Und daß die genau an der richtigen Stelle über Hamburger Gebiet hinwegfliegen, ist unwahrscheinlich. „Nach oben hört man viel besser“, sagt Ornithologe Alexander Mitschke beschwichtigend, das sei der Ballonfahrer-Effekt. Außerdem haben auch die Weibchen ein sexuelles Interesse und erlauben sich Suchschleifen dort, wo Brutgebiete zu finden sein könnten.

Gelingt es dem Wachtelkönig, eine Braut vom Himmel zu holen, ändert er sein Leben. Eine Woche lang brüllt er während des Tages – in der Nacht hat er was Besseres vor. Das Ergebnis ist ein Gelege mit acht bis 13 Eiern und ein Liebhaber, der ungeniert versucht, mit der nächsten anzubandeln. Mit etwas Glück gelingt es ihm, in diesem Sommer noch einer zweiten Dame ein Gelege unterzujubeln.

Wenige Vögel legten so viele Eier wie der Wachtelkönig, erzählt Mitschke. Denn die Chancen, daß aus einem Ei ein ausgewachsener Wachtelkönig – oder eine elegant getarnte Wachtelkönigin – wird, stehen schlecht: Mäht der Bauer zu früh, ist das ganze Gelege hin. Und sobald die Wachtelprinze(ssinne)n geschlüpft sind, müssen sie um ihr Leben Verstecken spielen.

Marder, Wiesel und Füchse pirschen voller Appetit durch die Wiesen. Und falls die Wohnklötze, die den nahen südlichen Horizont bilden, doch einmal noch näher an den Moorgürtel heranrücken sollten, kommen Hunde und Katzen dazu. Luftkämpfe sind für die schlanken Vögel mit den großen Füßen keine Alternative.

Wachtelkönige gehen lieber zu Fuß. Weil es die Überschwemmungslandschaften der Urstromtäler in Deutschland nicht mehr gibt, sind sie auf extensive Landwirtschaft angewiesen. Die Wiesen müssen ab und zu gemäht werden, damit der Boden zwischen den Gräsern und Stauden nicht verfilzt und die Vögel stecken bleiben.

Der nächtliche Wanderer durch den Moorgürtel sieht von alledem nichts. Selbst Mitschke kennt den Wachtelkönig nur vom Hören. Bauern hätten den Schreihals jedoch beim Sonnenbaden auf den Sandwegen gesehen. Und Vogelkundler-Kollegen haben sogar beobachtet, wie er kräht: „Kopf in den Nacken, Schnabel weit auf...“ Durch Regen läßt er sich nicht stören. Nicht, daß er etwa zu gurgeln anfinge ...