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Partei der Nichtwähler siegt bei Europawahl

■  Wahlbeteiligung in Berlin war so niedrig wie noch nie. Die Grünen müssen mit Verlusten auch bei Stammwählern rechnen

Ungewöhnlich niedrig fiel gestern die Beteiligung an der Europawahl aus. Bis 16 Uhr hatten erst 27,2 Prozent der Berliner Wahlberechtigten ihr Wahllokal aufgesucht. Der Landeswahlleiter schätzte vor Redaktionsschluß, daß sich dieser Wert bis zur Schließung der Wahllokale um 21 Uhr nur noch auf rund 40 Prozent steigern werde. 1994 lag die Beteiligung noch bei 53,5 Prozent.

Als Grund für das geringe Interesse nannte FU-Parteienforscher Oskar Niedermayer gestern, daß dem Europaparlament immer noch ein geringer Stellenwert beigemessen werde, obwohl es inzwischen eine wichtige Rolle spiele. Zudem hätten die Parteien „so gut wie keinen Wahlkampf“ geführt. Dieser sei noch dazu „recht langweilig“ gewesen. In Deutschland gebe es keine Kontroverse über Europa, so Niedermayer. „Wenn im Wahlkampf über Europa gestritten wird, mobilisiert das.“

Bei Europawahlen lege erfahrungsgemäß die Opposition zu, so Niedermayer. Diesmal also die CDU. Nach den letzten Umfragen müssen SPD und Grüne mit Einbußen rechnen. Dies spiegelte gestern auch eine – nicht repräsentative – taz-Umfrage vor einem Kreuzberger Wahllokal wider. In der Grünen-Hochburg bröckelte die Stammwählerschaft. „Ich habe seit 1979 grün gewählt, aber diesmal habe ich für die PDS gestimmt. Die war als einzige Partei konsequent gegen den Kosovo-Krieg“, erklärte ein 38jähriger Tischler. Mit den Grünen könne er sich „nicht mehr identifizieren“, weil sie viele ihrer Positionen aufgegeben hätten. Ein überzeugter PDS-Anhänger sei er nicht. „Das Wenigste aus deren Wahlprogramm läßt sich in diesem Wirtschaftssystem realisieren.“

Eine 40jährige Grünen-Stammwählerin erklärte: „Die Grünen wähle ich nie wieder.“ Auch sie gab als Grund den Kosovo-Krieg an, außerdem sei derAusstieg aus der Atomwirtschaft ausgeblieben. Sie wählte diesmal die Feministische Partei. Ein 30jähriger Kameraassistent, der sich ebenfalls als langjähriger Grünen-Wähler bezeichnete, schrieb „Wahlboykott“ auf seinen Stimmzettel. „Ich werde die Grünen nicht mehr wählen. Der Kosovo-Krieg war der Gipfel.“ Eine Alternative sieht er nicht: „Es gibt keine Partei mehr, die mich repräsentiert.“

Auch ein 25jähriger Musiker entschied sich in der Wahlkabine diesmal aus Protest gegen den Kosovo-Krieg für die PDS. Ein 41jähriger Nichtwähler, der mit seiner Freundin unterwegs war, erklärte: „Es fällt mir im Moment schwer, die Grünen zu wählen.“ Er habe die Wahlunterlagen in seiner Wohnung vergessen, „das war wohl innerlicher Protest“. Bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst wolle er aber wieder grün wählen. Die Große Koalition müsse abgelöst werden. Seine 33jährige Freundin hatte grün gewählt: „Das Grundkonzept der Grünen stimmt“, sagte sie, „ich würde nie im Leben PDS wählen.“ Eine 37jährige Softwareentwicklerin blieb den Grünen treu, „obwohl alle Schmerzgrenzen erreicht sind. Aber Regierungspolitik zu machen ist eben etwas anderes, als in der Opposition zu sein.“ Allerdings beobachte sie bei Freunden, daß sich viele von den Grünen abwendeten. Dorothee Winden

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