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Schutz vor brutalster Ausbeutung

Neue Konvention soll die schlimmsten Formen der Kinderarbeit wie Prostitution oder Sklaverei ächten. Auch in der EU arbeiten zwei Millionen Minderjährige  ■   Von Knut Henkel

Hamburg (taz) – Knapp achtzig Prozent der deutschen Lederfußbälle stammen aus dem pakistanischen Sialkot. Genäht werden sie von rund 7.000 Kinderarbeitern. Aber auch im Orangensaft, in Streichhölzern, in Teppichen, Kleidung oder im Kaffee kann sie stecken: die Kinderarbeit. 250 Millionen Kinder müssen Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten oder zum Familieneinkommen beitragen. Das Kinderhilfswerk Unicef geht sogar von etwa 300 Millionen Kinderarbeitern aus – Tendenz steigend. Zur Jahrtausendwende rechnen Unicef-Spezialisten mit 375 Millionen Kindern unter 15 Jahren, die unter teilweise extremen Bedingungen schuften.

Abschaffen kann die ILO die Kinderarbeit nicht. Doch mit einer Konvention, die heute in Genf unterzeichnet werden soll, will der neue Generaldirektor Juan Somavia wenigstens die ärgsten Mißstände bekämpfen. „Lassen Sie uns die Ausrottung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu unserem Anliegen machen“, appellierte der Chilene am Freitag an die Delegierten der 87. ILO-Konferenz aus 174 Ländern. Und auch US-Präsident Bill Clinton forderte am Wochenende die Abschaffung der Kinderarbeit, um der Weltwirtschaft „ein menschliches Antlitz“ zu geben – allerdings erst, nachdem die Konvention die Rekrutierung von 17jährigen für die Streitkräfte erlaubt hatte.

Bereits 1929 gab es den ersten Versuch, Kinderarbeit zu ächten. Doch erst 1973 wurde ein Mindestalter für diverse Beschäftigungsarten festgelegt. Das bahnbrechende Abkommen, das Kindern in aller Welt den nötigen Schutz bringen sollte, wurde allerdings gerade mal von 60 Staaten ratifiziert. Unter ihnen sind nicht mehr als 21 Entwicklungsländer und keines der asiatischen Länder, in denen mehr als 50 Prozent der Kinderarbeiter leben.

Doch auch in der EU ist Kinderarbeit kein Märchen aus der Industrialisierung. Auf rund zwei Millionen mit einer hohen Dunkelziffer schätzt die ILO die Kinderarbeiter in der Europäischen Union (EU). Allein in Deutschland arbeiten einer Studie der Bundesländer zufolge etwa 600.000 Kinder. In Lateinamerika muß jedes fünfte Kind, in Afrika jedes dritte und in Asien sogar jedes zweite Kind arbeiten.

Verbote und Appelle helfen kaum, haben Experten und die ILO gemerkt. Nun sollen die gravierendsten Formen der Kinderarbeit so schnell wie möglich verschwinden, ohne das Fernziel aus den Augen zu verlieren: Die Abschaffung der Kinderarbeit. Zu ihren extremen Formen zählen Sklaverei, Kinderhandel und Schuldknechtschaft sowie illegale Tätigkeiten wie Prostitution und Drogenhandel. Nun sollen alle Tätigkeiten, die die Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit der Menschen unter 18 Jahren gefährden, international geächtet werden.

Dieses Ziel soll durch die rechtlich verbindliche Konvention und ergänzende Aktionsprogramme, die Empfehlungscharakter haben, umgesetzt werden. Effektiver, so meinen unabhängige Gruppen wie Terre des hommes, wäre die Aufnahme der Aktionsprogramme in die Konvention. Damit würden sie rechtlich verbindlich. Doch dieser Vorschlag hat bisher wenig Akzeptanz gefunden, da man um seine „Konsensfähigkeit“ angesichts leerer Kassen vor allem in den Entwicklungsländern fürchtet. Je weniger umfangreich und leichter erfüllbar, desto leichter die Ratifizierung, lautet die Devise.

An die Abschaffung der Kinderarbeit ist nach Ansicht vonManju Vira Gupta, eine der Initiatoren des weltweiten Marsches für die Rechte der Kinder vom letzten Jahr, derzeit nicht zu denken. Für viele Familien in der Dritten Welt sei die Unterstützung durch die Kinder überlebensnotwendig. An ein Ende der Kinderarbeit sei aber erst zu denken, wenn man deren Ursachen bekämpfe – die ungerechte Verteilung des Reichtums auf dem Globus.

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