: Ist jedes Kind dem Staat gleich teuer?
■ Eichel will einen gerechten Familienausgleich. Das steuerfreie Existenzminimum für Kinder hat er noch nicht aufgegeben
Berlin (taz) – Ein alter Bekannter drückte Finanzminister Hans Eichel schon mal die Daumen. Es sei eine „Herkulesaufgabe“, die von Karlsruhe verlangte finanzielle Entlastung von Familien zu schaffen, meinte der künftige Bundesbankchef Ernst Welteke. Eichels Landsmann spielte auf die enormen Kosten an, die beim Geldsegen für die Kleinen der Nation anfallen. Sie liegen zwischen 10 und 60 Milliarden Mark.
Der Zuspruch für den Kassenwart kommt im richtigen Moment. Mit dem Etat für das Jahr 2000 scheint er zwar auf gutem Wege. Bei der Familienentlastung aber ist er hin- und hergerissen: Eichel hat mit dem Kinder-Existenzminimum einen billigen und gerechten Vorschlag auf dem Tisch liegen. Das Manko: Das Justizministerium hält ihn nicht für rechtmäßig.
Das sogenannte Existenzminimum für Kinder ist mit rund 10 Milliarden Mark die billigste mehrerer Varianten. Groß- und geringverdienende Eltern würden in gleichem Maße davon profitieren. Eichel gefällt der Vorschlag, den auch die SPD- und die Grünen-Fraktion unterstützen. „Politisch schön“ nennt er die Idee, daß dem Staat jedes Kind gleich teuer ist.
Die herrschende Meinung der Juristenschaft schätzt das Existenzminimum allerdings als verfassungswidrig ein. Der Grund klingt aberwitzig: Reiche werden durch das Kinder-Existenzminimum nicht genug entlastet. In einer Stellungnahme des Justizministeriums heißt es: Das Existenzminimum „kann nur dann akzeptiert werden, wenn es so hoch angesetzt ist, daß er auch den Spitzenverdiener so stellt, wie er stünde, wenn [er] über einen Kinderfreibetrag“ seine Steuerschuld mindere.
Dem Sozialdemokraten Eichel mag das aufstoßen. Der Jurist und Minister Eichel aber kommt um Verfassungskonformität nicht herum. „Ich werde nichts vorlegen, was verfassungsrechtliche Risiken birgt“, verbreitet er als offizielle Stellungnahme. Die inoffizielle sieht anders aus. Hans Eichel hat das Justizministerium gebeten, sich das Kinder-Existenzminimum noch einmal genau anzusehen. Und intern hat der Finanzminister die Parole ausgegeben, sich auf die Suche zu machen. „Bringt mir drei Verfassungsjuristen, die mich mit dem Kinder-Existenzminimum durchtragen“, sagte er hinter den Kulissen. Dann ziehe er damit bis nach Karlsruhe.
Solche Steuerexperten gibt es. Nicht nur dem Laien nämlich ist unverständlich, warum Spitzenverdiener Anspruch auf eine größere Steuerbefreiung für ihre Kinder haben sollen. Auch im Grundgesetz steht davon nichts. Der Finanzwissenschaftler Theodor Stiegel von der Humboldt-Universität Berlin meint: Warum sollte das Kind einer Hilfsarbeiterin anders behandelt werden als das eines Spitzenmanagers? Das sei politisch unverständlich und ökonomisch nicht begründbar. Der Steuerrechtler Dieter Schneider von der Uni Bochum teilt Stiegels Auffassung.
Hans Eichel aber sucht schon nach weiteren Aufgaben. Er will die deutschen Betriebe um 8 Milliarden Mark entlasten. Das nötige Kleingeld für diese Unternehmenssteuerreform plant er streitbaren Gruppen zu entreißen: Er will die Abzugsfähigkeit von Geschäftsessen aufheben, Lebensversicherungen versteuern und Steuerzuschüsse für Bauern kappen. Das kann nur Herkules schaffen. Christian Füller
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