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„Der UNHCR beschreibt zuviel Papier“

■ Hilfsorganisationen werfen den UN-Leuten vor, das Flüchtlingsproblem nur zu verwalten

Zu langsam, zu bürokratisch, ineffektiv und inkompetent. Die Mitarbeiter des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) müssen sich massive Kritik anhören – von Vertretern der Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz und Cap Anamur, aber auch vom Bosnienbeauftragten der Bundesregierung, Hans Koschnick, und dem Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm. Rupert Neudeck (Cap Anamur) behauptet sogar, es gehe dem UNHCR um die „Verschleppung der Rückkehr der Kosovo-Flüchtlinge“.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk ist im zivilen Bereich federführend für Rückkehr und Versorgung der Kosovo-Flüchtlinge. Im Balkan-Stabilitätspakt wird dem UNHCR eine zentrale Rolle für die Flüchtlingshilfe in ganz Südosteuropa zugewiesen. Für die Rückführung der vertriebenen Kosovo-Albaner hat das UN-Hilfswerk einen Plan entworfen: Zuerst sollen sich Erkundungsteams ein Bild der Lage vor Ort verschaffen. Als zweiter Schritt sollen die humanitären Organisationen ins Kosovo zurückkehren und erst dann die Vertriebenen. Für die Rückführung und Betreuung der Kosovo-Flüchtlinge hat das UNHCR für den Rest des Jahres 246 Millionen Dollar veranschlagt. Die Verantwortung müßte nach unten abgegeben werden, so der Einwand von Hans Koschnick. Es sei „irrsinnig“, über die Köpfe der Vertriebenen an Rückkehrplänen zu arbeiten.

„Die Leute wollen jetzt zurück, ohne große Bürokratie“, meint auch Neudeck. Er ist mit der UN-Organisation schon seit längerem im Streit, er hatte sich heftig gegen die geplante Verlegung von Flüchtlingen innerhalb von Albanien gewehrt. Das Deutsche Rote Kreuz wirft dem UNHCR vor, zuviel zu theoretisieren. „Es geht doch darum, vor Ort zu helfen und nicht darum, tolle Gedankenspiele zu entwickeln und Energien durch Strategiediskussionen zu binden“, sagt Lübbo Roewer vom DRK. Die Rückführung sei nicht planbar: „Wir erwarten riesige Flüchtlingsbewegungen, zu Fuß, mit Autos und Traktoren.“

Die Kritik des Roten Kreuzes geht weiter. Der UNHCR sei von Anfang an überfordert gewesen und habe die Koordination der Flüchtlingshilfe nicht richtig übernommen. „Die Hilfsorganisationen haben ihre Spitzenleute hingeschickt, der UNHCR nicht, da fehlte die Kompetenz.“

Rupert Neudeck sieht durch die Zusammenarbeit von UNHCR und Nato bei der Errichtung der Camps die Neutralität der Flüchtlingshilfe in Gefahr. Eine Schieflage sei entstanden: „Flüchtlingshilfe muß zivil sein.“ Es sei bedenklich, wenn das UNHCR so schlecht vorbereitet sei und „das nicht stemmen kann“.

Die aktuellen Pläne des UNHCR erschwerten die Rückkehr und trieben so die Flüchtlinge in die EU-Staaten, warnt Neudeck. Cap Anamur setzt auf die Selbstorganisation der Kosovaren. Es komme darauf an, möglichst große Depots für Nahrungsmittel und Baumaterialien im Kosovo anzulegen. Und: „Es geht um Schnelligkeit, beim UNHCR wird zuviel Papier beschrieben.“

Das UN-Flüchtlingshilfswerk räumt Defizite ein. „Die Koordination lief am Anfang nicht gut“, sagt Stefan Telöken vom UNHCR Deutschland. Als weltweit operierende Organisation sei der Personenkreis nicht sehr groß, auf den bei solchen Ausnahmesituationen zurückgegriffen werden könne. „Wir können ja nicht alle Fachleute aus anderen Krisenregionen wie Zentralafrika abziehen.“ Das UNHCR geht davon aus, daß auch noch über den Winter Flüchltinge in Albanien und Makedonien versorgt werden müssen. Die Vertriebenen werden nicht zurückgehalten, sagt Telöken. Aber es könne doch jetzt nicht das Ziel sein, „die Flüchtlinge so schnell wie möglich zurückzupeitschen. Wir wollen eine geordnete Rückkehr in Sicherheit und Würde.“ Das Flüchtlingswerk sorgt sich im Moment vor allem um die Binnenvertriebenen im Kosovo. Die Kritik an dem Phasenplan hält der Sprecher des Flüchtlingswerkes für überzogen. „Der Plan ist nicht bürokratisch.“ Außerdem könne er, wenn es die Praxis erfordere, noch verändert werden. Georg Gruber

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