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Zwischen Jubel und Feindschaft

Während die Serben den Einmarsch der russischen Truppen feiern, warten die Albaner in Pristina verängstigt auf das Einrücken der britischen Verbände. Zu einer Konfrontation mit den abrückenden Serben kommt es nicht  ■ Von Erich Rathfelder

In dem Kellerraum wird nur geflüstert. Die Lichtluken sind sorgfältig mit Decken abgedichtet. Niemand soll den Lichtschein sehen können, den die Kerze spärlich in den Raum wirft. Ein serbischer Polizist wohne in der Nachbarschaft, serbische Polizisten hätten erst in der Nacht zuvor einen Mann ermordet und dessen Frau schwer verletzt, nur wegen seines Geldes, sagen die Leute, die sich hier verstecken. Die serbische Polizei und die paramilitärischen Truppen werden in den nächsten Tagen noch einmal die Menschen terrorisieren, fürchtet eine Frau, die ihre Kinder eng an sich schmiegt. „Wann kommen endlich die Nato-Truppen?“

Das fragt auch Merzyle. Sie ist 45 Jahre alt und hat sich in ihrer Wohnung verbarrikadiert. Ihr Sohn war schon im Februar erschossen worden. Jetzt lebt sie allein. Der Besuch ausländischer Journalisten bringt Risiken für sie mit sich. Dennoch hat sie uns in ihre Wohnung eingeladen. Sie möchte ihre Angst abschütteln. Im Haus lebt auch ein serbischer Polizist. „Er war bisher ein guter Nachbar, ich kann mich nicht beklagen, aber wird er beim Abzug auch noch normal sein?“ Er habe schon seine Sachen gepackt und einen Teil nach Serbien geschickt. Merzyle wartet sehnlichst auf die Ankunft der britischen Nato-Soldaten.

Tausende von Albanern – ihre genaue Zahl kennt niemand – haben in der Hauptstadt des Kosovo die Vertreibungsaktion Ende März überlebt und sind in der Stadt geblieben. Sie führen seither ein unsicheres Leben. Jeder versucht, so wenig wie möglich aufzufallen. Man bleibt in den Wohnungen, versteckt sich in den Kellern. Nach draußen geht man nur in den dringensten Fällen. Immerhin können Albaner seit zwei Wochen wieder in den serbischen Geschäften einkaufen.

In der Stadt ist weniger zerstört, als aus den Berichten der Vertriebenen zu schließen war. In dem albanischen Bazarviertel sind zwar alle Schaufensterscheiben eingeschlagen und die Interieurs zerstört, doch die meisten der Häuser stehen noch. Auch in den anderen Vierteln bietet sich ein ähnliches Bild. Selbst das Haus Ibrahim Rugovas erscheint von außen unversehrt, das Büro der Führung der Albaner Kosovos, das Haus des Schriftstellerverbands, ist jedoch verbrannt.

Auch die Nato-Luftangriffe haben nur wenige sichtbare Zerstörungen hinterlassen. Das Gebäude des Innenministeriums ist zwar nur noch ein Gerippe, das ebenfalls angegriffene Grand Hotel Pritina ist jedoch noch intakt.

In der Lobby dieses Hotels herrscht am Samstag abend reges Treiben. Hier treffen sich die Mitglieder der paramilitärischen Truppen. In der Garage sind Luxuslimousinen mit Belgrader Nummern geparkt, die Chefs sind also auch da. Die Blicke zu den Journalisten sind feindselig. Diese Leute wissen, daß sie die Stadt verlassen werden, wenn die Nato-Truppen eintreffen. Noch hoffen sie aber, daß die russischen Truppen, die in der Nacht zum Samstag nach Pritina gekommen sind, die Stadt besetzen werden.

Die Ankunft der Russen wurde von den Serben begeistert gefeiert. Bis halb zwei Uhr morgens warteten Tausende, bis die zweihundert Mann endlich aus Ni eingetroffen waren. „Sie werden uns schützen,“ sagt ein Tankwart. Daß er jedoch seine Familie schon nach Serbien geschickt hat, läßt seine Worte nicht sehr glaubhaft erscheinen. Auf der Straße ziehen einige Traktoren vorbei, die Anhänger vollgepackt mit Habseligkeiten. Es sind serbische Familien aus dem Süden, die jetzt – wie einige Wochen zuvor die Kosovo-Albaner – ihre Heimat verlassen haben.

Sie trauen den Worten ihrer Führung nicht, die das Friedensabkommen als Sieg verkauft hat. Sie fürchten Vergeltungsaktionen der zurückkehrenden Albaner. Dies jedenfalls behauptet Radovan, der in einem der wenigen noch offenen Cafés arbeitet. Die Fliehenden selbst wollen nicht reden. Stumm ziehen sie an dem Militärkonvoi der britischen Truppen vorbei, der drei Kilometer vor der Stadt haltgemacht hat.

Auf dem Parkplatz an einer Tankstelle ist an diesem Samstag nachmittag die Vorhut der britischen Truppen eingetroffen. Einige Warrior-Panzer sind im Halbkreis aufgestellt. „Wir können jetzt noch nicht in die Stadt gehen Wir müssen Schritt für Schritt vorwärtsgehen. Vielleicht werden wir drei Tage brauchen“, sagt einer der Offiziere. Sorge bereitet ihnen die Aussicht, daß die britischen Truppen den Flughafen der Stadt angesichts der Präsenz der russischen Truppen vorläufig nicht kontrollieren und auch nicht nutzen können. Aber die Briten halten sich mit Kritik an den Russen zurück. Sie warten die politischen Entscheidungen ab.

Um drei Uhr früh an diesem Sonntag morgen werden die britischen Soldaten durch das Dröhnen von Kettenfahrzeugen aufgeweckt. „Sind das unsere Truppen oder die Amerikaner?“ fragen sie. Ein Panzer nach dem anderen rauscht aus dem Süden kommend in Richtung Norden vorbei. Jugoslawische Fahnen wehen auf den Türmen. Es sind die abziehenden jugoslawischen Truppen, die aus den Grenzregionen des Südens und Westens kommend, die Nato-Soldaten beeindrucken.

Über fünfzig schwere Panzer sind es, manche von ihnen schwenken ihre Kanonen in Richtung der britischen Soldaten, dazu Versorgungsfahrzeuge, Busse, riesige Lastwagen, zusammen vielleicht zweihundert Fahrzeuge oder mehr, die hier eine Stunde lang den Platz mit Lärm erfüllen. Hier zieht eine intakte Armee ab, eine stolze Armee, die sich nicht geschlagen fühlt. „Wie konnten die unsere Luftschläge überleben?“ fragt einer der britischen Soldaten.

Die Briten waren es, die an der Spitze der KFOR-Truppen in das Kosovo einzogen. Während die Amerikaner in die südöstliche Region einrücken werden, die Deutschen in die südwestliche, Italiener in den Nordwesten des Landes und die Franzosen in die Region Mi-trovica, werden die Briten die Region um die Hauptstadt Pritina bis hin zur nördlichen Grenze besetzen.

Ihr Aufmarsch ist bislang ohne größere Zwischenfälle verlaufen. Für einen der kleineren hatte der Troß der Journalisten gesorgt, die im Gefolge der Truppen ins Kosovo einrückten: Ihre Fahrzeuge blockierten zeitweise die Fahrt der britischen Truppen am Samstag morgen.

Das stundenlange Warten zerrte an den Nerven. Die Ghurka-Truppen, eine Commonwealth Elite-Einheit aus Nepal, hatten zwar die Straße gesichert und die ersten Minen geräumt, die Untersuchung einer Brücke und zweier Tunnel jedoch verzögerte den Vormarsch. Die Nachricht, russische Truppen seien in Richtung Pritina in Bewegung gesetzt, führte zu allerlei Spekulationen. Wollten die Russen nach dem Scheitern der Verhandlungen in Moskau Tatsachen schaffen und mit ihrem Aufmarsch sich ein Besatzungsgebiet sichern? Bedeutete dies die Teilung des Kosovo?

Groß war die Erleichterung im britischen Troß, als sich der Stau am Samstag mittag aufzulösen begann. Der Vormarsch ging weiter. Transporthubschrauber, die durch Apachee-Hubschrauber gesichert wurden, brachten Material zu jenen Truppen, die an der Spitze des Zuges standen. Fallschirmspringer hatten schon in den Morgenstunden ein Terrain in der 15 Kilometer entfernten Stadt Kacanik gesichert.

Niemand war an den Straßen zu sehen, die ersten Kilometer führten durch eine Berglandschaft, die Dörfer in dieser Region sind menschenleer. Die meisten Häuser jedoch stehen noch. Endlich ist Kacanik erreicht, wo Ende März während der Vertreibung der Albaner grausame Verbrechen begangen wurden. Der Stadtkern ist nicht zerstört, die Häuser der umliegenden Dörfer aber wohl. Endlich tauchte am Straßenrand eine Gruppe von fünf Männern auf, die lachend dem Truppenkonvoi hinterher winkte. Die Männer tragen offen die Insignien der UÇK und hatten die Vorhut der Briten mit Blumen empfangen.

Von serbischen Truppen oder Polizei war hier nichts zu sehen. Lediglich der Lokführer des Zuges – der Zug Pritina-Blace verkehrt noch, allerdings ohne Fahrgäste – zeigte den einrückenden Truppen die drei gespreizten Finger – den serbischen Gruß. Als die Panzer die nächste Stadt Urosevac erreichten, wagten sich die ersten Albaner auf die Straße. Frauen und Kinder winkten den Nato-Truppen zu, fünf Kilometer nördlich waren es Tausende von Menschen, die ein Spalier für diese Truppen bildeten. Hier ist die kosovoalbanische Bevölkerung nicht vertrieben worden. Und zu befürchten hat sie jetzt auch nichts mehr.

Kaum zwei Kilometer weiter in Richtung Pritina kam es zu einem denkwürdigen Zusammentreffen. Die schnellen deutschen Leopardpanzer hatten Kontingente der langsameren britischen Truppen eingeholt. An dem Abzweig zu ihrem Einsatzgebiet in Przren trafen die Deutschen auf abrückende serbische Truppen, es bildete sich ein Stau. Schweigend standen sich die Soldaten gegenüber, für die Serben ein einschneidendes Erlebnis, gelten die Deutschen doch nach Jahren der staatlichen Propaganda als die Hauptfeinde Serbiens, so, als wollte die Hitler-Wehrmacht das Land besetzen.

Nur wenige Kilometer in Richtung Pritina sind die jugoslawischen Truppen noch nicht abgezogen, jugoslawische Panzer stehen an Kreuzungen und beobachten den britischen Aufmarsch. Der stockt wegen der russischen Truppen und des langsamen Abzugs der Serben vor Pritina.

Es ist Sonntag morgen. Der Tag bricht an. Fahrzeuge mit bewaffneten Zivilisten jagen durch die Stadt. Vor den Polizeistationen sammeln sich schwerbewaffnete Polizisten. Sie warten, wie es scheint, auf die Busse, die sie aus der Stadt bringen sollen. Am Nachmittag beziehen dann britischenTruppen mit Warrior-Panzern Stellung in der Stadt. Vor einer serbischen Polizeistation ziehen sogar drei Panzer auf. In den Straßen patroullieren die von den Albanern so sehnsüchtig erwarteten Nato-Soldaten. Noch aber sind nicht alle bewaffneten Serben aus der Stadt verschwunden.

Ein Panzer nach dem anderen rauscht in Richtung Norden vorbeit. Jugoslawische Fahnen wehen auf den Türmen.

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