: Zum Heulen bleibt hier keine Zeit
Joachim „Hamster“ Damm macht Kunst mit Maschinen. Zum Festival Theater der Welt in Berlin spürt der Gesamtkunstwerker mit Videoprojektionen und einem Welttheatermodell den Katastrophen des Jahrhunderts nach. Am Wasser und im Club ■ Von Matthias Wolf
„Ihr müßt alle ins Gras beißen“, sagte der zehnjährige Junge Sommer 1975 in einer Ostberliner Straßenbahn zu zwei Offizieren der Nationalen Volksarmee. Er meinte es ernst, hatte er sich doch tagelang Brechts „Mutter Courage“ auf den Plattenspieler gelegt, Helene Weigels Stimme gelauscht, bis er alles auswendig konnte. Der Bühnenbildner, Schauspieler, Puppenkonstrukteur, Komponist und Computerartist Joachim „Hamster“ Damm kann sich an die erste Szene seines Theaters nicht mehr genau erinnern. Aufgeschrieben hat sie seine Mutter Sigrid Damm in ihrem Roman „Ich bin nicht Ottilie“.
Ein anderes Werk Dammschen Aktionismus ist heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu besichtigen. Ein handgemaltes Plakat für den 4. November 1989, Berlin, Alexanderplatz, das den grinsenden DDR-Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz als schlafmützigen Wolf im Bett zeigt, dazu die naiv-freche Frage: „Großmutter, warum hast du so große Zähne?“
„Märchen habe ich gespielt“, erinnert sich der heute 34jährige. Das Gespräch kreist immer wieder um akkumulierte Erfahrungen, die der blonde „Hamster“ in seinem vollgestopften Berliner Atelier sammelt. Ein Brief des Elfjährigen an den Autor Franz Fühmann, ob er ihm für seine selbstgebauten Marionetten „eine kurze Geschichte, in Dialog geschrieben“, liefern könne, wirkte. Jüngst wurde der Text veröffentlicht, mit 23jähriger Verspätung. In der bösen Fabel „Der glückliche Ritter von Trinitat oder Wie wird man Oberdiskutierer“ rollen mehrere Köpfe. Auch tritt die Parole „Wir sind die glücklichsten Menschen der Welt“ auf. Die Erwachsenen amüsierten sich damals köstlich.
Im Frühjahr 1989 war der Alleindarsteller Damm mit „Psychogrammen einer Revolution“ zur Stelle. Der Bühnenbild-Student begnügte sich nicht mit Figurinen zu Texten von Büchner und Müller, sondern setzte die Szenen mit Puppen und Masken in einem blutroten Kasten in Bewegung. Der gallische Hahn verreckte in der „Broilerrepublik“. „Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, Olympische Spiele und von melodischen Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe!“
Joachim Damm bohrt sich in der Nase und lächelt. Er bekenne, daß ein Hauptmotiv seines Theaterspiels immer gewesen sei, „die richtigen Frauen kennenzulernen“. Und heute? Damm lächelt und popelt weiter. Aus Leander Haußmanns Bochumer Schauspielhaus ist jüngst die Schauspielerin Steffi Kühnert mit in Damms Berliner Bude gezogen. Ihr gemeinsamer Sohn Noah, im April 1999 geboren, hat Joachim Damm scheinbar erwachsener gemacht. Hoffentlich schlägt sich das nicht in der Kunst nieder.
„Willkommen im sinkenden Staatsschiff / Zum Heulen bleibt hier keine Zeit ...“ , rappt der Zeremonienmeister ins Mikro. September 1990, Tage vor dem östlichen Beitritt ins Wirtschaftswunderland. Im Bassin der Kunsthochschule Berlin-Weißensee: Große Figuren tauchen auf und ab, spiegeln sich und speien Wasser. Die Untergrundband Ornament & Verbrechen juxt ihre Sounds ins Becken. Tränen, Schweiß, Sperma und Blut. Ein pubertäres Spiel der Elemente, das der Student Joachim Damm zum Schiffbruch des Staatssozialismus inszenierte. „Auf die Schiffe, ihr Philosophen! Es gibt noch eine andere Welt zu entdekken – und mehr als eine“, forderte er auf gut nietzscheanisch.
Neun Jahre später spielt Damm wieder am Wasser. Diesmal zum Festival Theater der Welt in Berlin, inmitten einer kleinstadtgroßen Baugrube am Humboldthafen. „Project DB-Knoten“ glänzt das Bauschild dort am Lehrter Stadtbahnhof. Das Luftbild vom Umschlagplatz zeigt eine alpine Welt. Damm blickt fasziniert, „lebensgefährlich ist diese Stadt hier, urbane Ströme, der Zu- und Abfluß von Menschen ...“
Der allkonstnär, wie ihn die Nachbarn in Lappland, seinem zweiten Wohnsitz, nennen, hat seit Jahren für diese Idee des Wassertheaters experimentiert. An der Kaimauer will er seine mechanische Bühne aufbauen, Tropfen ins Meer schicken, organische Formen wachsen lassen, gebändigtes Wasser vorführen, „bis die Bühne am Ende in die Luft fliegt und der brennende Reichstag vorbeischwimmt“. Selbst das Kajütboot des Vaters ist wieder flottgemacht. Bruder Tobias kümmert sich derweil um die Videosequenzen, Ornament & Verbrechen komponiert, das Neubrandenburger Kammertheater leiht Damm seine 1993 dort konstruierte Maschine eines „Teatrum mundi“ (Welttheater), das Schauspielhaus Bochum und die Schaubude Berlin unterstützen finanziell. „Ein dunkler ICE könnte vorbeifahren und im Rhythmus sein Licht anschalten“, wünscht sich Damm.
„Von innen nach außen – anders kann ich gar nicht arbeiten“, bekennt er auch. Bühnenbilder, wie zuletzt für Magdeburg, Bochum oder das Berliner Ensemble, wachsen aus einer Unmenge surrealer Bilder, wuchern mit sicherem Gespür für Materialien aus seinen Sounds und Räume generierenden Maschinen.
„Zähmung führt in die Katastrophe“, sagt Damm und streicht sich die Haare aus der Stirn. Das Wasser meine er. In Lappland lebt er sommers unter Birken in einem roten Holzhaus. Die Streifzüge ins scheinbar Grenzenlose der Natur sind immer auch Selbsterfahrungstrips. Kamera, Voice-Recorder und Tagebuch führt der Forscher im Rucksack mit. Reiner Sauerstoff als schönste Droge, intensives Erleben ursprünglicher Natur, das sensibilisiere für die Relativität des Menschen. Was nach esoterischen Ritualen oder Extremsport schmeckt, ist Damm anstrengende Feldforschung für einen komplexen Ansatz von Theater, der mit dem Gestus wissenschaftlicher Vorführungen kokettiert: „Man kann auch Gesamtkunstwerk dazu sagen.“
Als Ingenieur Sergej dem Holocaust-Roman „Stichwort Liebe“ von David Großman entstiegen, zu dem Damm noch als Ensemblemitglied in Neubrandenburg bis 1997 vier Jahre lang gearbeitet hatte, ist er nun solistisch unterwegs. Den Narzißmus-Vorwurf pariert er gekonnt: „Man ist selbst das beste Objekt, muß andere nicht gebrauchen.“ Der Deutsche will den Katastrophen dieses Jahrhunderts auf die Spur kommen, seine Erfahrung eines „weißen Faschismus“ der Anästhesierung durch die wachsenden Maschinenparks verarbeiten.
„No Time to Lose“ nennt er sein techno-konzertant gebautes szenisches Experiment aus Objekttheater, Rap und Projektionen, „es gibt keine Zeit zu verlieren beim Kampf gegen die Apparate, die alles Leben zu vernichten drohen“. Damm zeigt die metronomisch auszirkulierte Versuchsanordnung über das enttäuschte Vertrauen in die Maschinen der industriellen Revolution vor allem in den Chill-out-Zonen von Techno-Clubs, sucht sich DJs als Verbündete. Ob die zuckenden Leiber der Techno-Jünger widerständiges Potential sind oder totaler Affirmation unterlegen, hat Damm für sich noch nicht entschieden. „Maschinenstürmerei gehört nicht zu meinen Zielen, eher der selbstverständliche emanzipatorische Gebrauch.“
E-Mails in den hohen Norden – so hält Damm die Verbindung zur mitteleuropäischen Theaterwelt, wenn er in Lappland ist. Derweil nutzt er Haus und Scheune als Laboratorien und probiert dort etappenweise seine bizarren Entwürfe aus. Das naive Funktionieren der alten Technik des Teatrum mundi reizt ihn nun, mit digital gesteuerten Prozessen von Wasser, Strom und Daten eine theatralische Umwandlung der Energien zu versuchen. „Ein Spielchen mit der virtuellen Natur treiben“ zu können, hat ihn bis zum Apfelmännchen der Chaostheorie geführt. Theater der Welt ist nur eine Zwischenstation. Sein „Wassertheater“ montiert Damm nächstes Jahr auf einen Pritschen-Lkw und tourt damit durch Deutschland und Schweden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen