piwik no script img

Nichts kann sie aufhalten

Nur die Straße selbst ist von Minen frei geräumt. Doch die Flüchtlinge strömen trotz der Warnungen zu Tausenden mit Sack und Pack zurück in das Kosovo  ■   Aus Morina Erich Rathfelder

Wieder rollen die Traktoren auf den Straßen Albaniens. Und wieder sind die Fahrzeuge mit Menschen vollgeladen. Die Gesichter sind hektisch und angespannt, auf den Anhängern stapeln sich Hausrat und Matratzen. Doch diesmal fahren die Flüchtlinge in die umgekehrte Richtung. Sie fahren nicht ins Exil nach Kukes oder Tirana, sondern nach Hause – in das Kosovo.

An dem berühmt gewordenen Grenzübergang Morina, wo die fliehenden Kosovo-Albaner vor kurzem noch von serbischen Soldaten, Polizisten und Zöllnern ausgeraubt und geschlagen worden sind, stehen jetzt deutsche KFOR-Soldaten. Und nicht nur sie, sondern auch einige Frauen und Männer in den Uniformen der UÇK.

Die Anspannung der Flüchtlinge ist verschwunden. Die Finger vieler Flüchtlinge formen sich zum V, dem Victory-Zeichen. „Ich gehe nach Hause“, ruft ein Mann und lacht. Andere weinen vor Freude. Kinder werfen den Soldaten Kußhände zu. Tausende sind es, die in einer kilometerlangen Schlange aus Traktoren, Autos, Lastwagen und Bussen stehen.

Kris Janowski, der Pressesprecher vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, ist extra aus Genf angereist. Auf den Abmarsch der Serben haben nicht nur die Flüchtlinge gewartet, sondern auch die internationalen Hilfsorganisationen, die ihre Arbeit in das Krisengebiet Kosovo ausweiten wollen.

„Die Menschen drängen zurück in die Heimat, sie wissen, wohin sie zu fahren haben, sie wissen, wo sie frei zurückkehren können“, sagt Janoswski. „Die anderen, die in Gebieten wohnen, wo jetzt noch die jugoslawischen Truppen sind, sollten noch bleiben.“

UNHCR hat die Menschen in den Flüchtlingslagern Albaniens und Makedoniens aufgefordert abzuwarten. Doch die meisten lassen sich nicht mehr aufhalten. Lediglich die schlechten Straßenbedingungen verzögerten den großen home run, weiß auch Kris Janowski. 10.000 seien es allein am Dienstag gewesen. Gestern drängte eine ähnlich große Zahl Flüchtlinge zur Grenze.

Überall an der Straße wird vor Minen gewarnt. Gerade das Grenzgebiet ist stark vermint, die Straße selbst jedoch ist von der Bundeswehr frei geräumt. An der Strecke von Skopje nach Kosovo mußten bereits zwei Menschen eine Unaufmerksamkeit mit dem Leben bezahlen: Ihr Wagen überfuhr die Straßenbegrenzung.

Das Problem der Minen beschäftigt auch die KFOR-Truppen. Die tödliche Gefahr ist sehr unterschiedlich gestreut; manche Gebiete sind sehr stark, andere kaum oder gar nicht betroffen. So sind in der Stadt Prizren bisher keine Minen gefunden worden, doch schon 20 Kilometer nördlich, in der Nähe der von serbischen Truppen zerstörten Stadt Djakova, ist man nicht mehr sicher.

Viele Häuser und Ruinen in Suva Reka, in Peja, in Drenica steckten ebenfalls voller Minen. Besonders tückisch sind jene, die durch das Berühren fast unsichtbarer Fäden gezündet werden und die einen Streukreis von 50 Metern haben. Sie wurden ausschließlich dafür konstruiert, so viele Menschen wie möglich zu töten.

Hashim Berisha weiß das alles. Dennoch sitzt der Bauer mit seiner Frau und den sieben Kindern, dem jüngeren Bruder und dessen fünfköpfiger Familie auf dem Traktor und will zurück. Zurück in ein Dorf bei Suva Reca, das 20 Kilometer östlich von Prizren liegt. „Wir wollen das Korn, das wir gesät haben, ernten.“ Die Kühe und Schafe, die beiden Pferde seien sicher gestohlen oder getötet worden, befürchtet er. „Erst einmal müssen wir unseren Hof aufräumen, dann sehen wir weiter.“

Die Hilfsorganisationen wollen sie dabei unterstützen. Die deutsche humanitäre Hilfe hat zum Beispiel den Rückkehrern Werkzeuge und Baumaterialien versprochen, so daß jene Menschen, deren Haus zerstört ist, wenigstens einen Raum wieder winterfest machen können.

Von den vielen tausend Flüchtlingen, die sich in den Wäldern und Bergen versteckt haben, wissen noch nicht alle, daß die Lage sich verändert hat. Die Nato-Suchtrupps wollen sie aufspüren und mit Hilfe des UNHCR versorgen.

Zu denen, die jetzt zurückkehren, gehört auch einer jener 1.200 Gefangenen aus dem Gefängnis Smrkovnica, die vor wenigen Wochen unter Schlägen von Stöcken und Gewehrkolben nach Albanien marschieren mußten. Er will nach Mitrovica, wo die jugoslawische Armee noch nicht abgezogen ist. Er sucht seinen Bruder. Die nicht freigelassenen Gefangenen sollen nach Serbien verlegt worden sein. Er hofft trotzdem, ihn zu finden.

Auch die Gefangenen im Gefängnis von Prizren hatte man nach Serbien verschleppen wollen. Doch ein Bundeswehrsoldat überprüfte die Ladung eines Lastwagens und fand halbverhungerte Gestalten vor. Die Gefangenen wurden freigelassen.

Die Ankunft der Flüchtlinge in Prizren gleicht einem Triumphzug. Winkend, klatschend und jubelnd werden sie von ihren Landsleuten in Empfang genommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen