Hierentlang!

■ „Rocksolid“: Experimentelles Theater im Gerichtshaus für vier tolle Frauen und fünfzehn Zuschauer

Zweifellos treffen sich hier nachts die Gespenster. Alptraumgespenster von rechts, aus dem Polizeihaus. Blut- und Wasser-Gespenster von links, aus dem Gericht. Dieser Ort, ein leerstehender Teil des Gerichtshauses an der Domsheide, ist ein theatralischer Ort. Knarzendes Parkett, brutales Neonlicht, entsetzliche Säulen mit historisierenden Kapitellchen, krötenhäßliche Farben zwischen Beige und Oliv. Wer da eingesperrt würde, müßte sehr gute Nerven haben, um nicht Schaden an der Seele zu nehmen. Zur Zeit lassen sich dort abends exakt 15 Leute einschließen, freiwillig, sie bezahlen sogar dafür. Sie wohnen der Zerrüttung von Belinda bei, der Auflösung einer normalen Frau, die wie alle normalen Frauen gut sein will und gut drauf.

Belinda ist unsere Führerin. Wir sind, das steht auf einem Zettel, den sie uns angeklebt hat, „Führungskräfte“. Hier soll irgendwo ein Konferenzraum sein. Den suchen wir jetzt. Und weil eine Inszenierung mit vier schwarzgekleideten Frauen an einem schrecklichen Unort gar nicht anders sein kann als „kafkaesk“, werden wir nie und nimmer die Konferenz erleben. Macht nix, wir haben ja eine Führerin, und die kennt ein unglaublich tröstliches Wort: „Hierentlang!“

Am Anfang ist alles gut. Vier junge Schauspielerinnen aus London stehlen uns die Zeit. Begrüßung. Kekse. Hierentlang. Rein in ein bis auf einen Schreibtisch leeres Dienstzimmer. Wieder raus. Hierentlang. Irritationen, gewiß. Eine Tür ist zugemauert. Aber nichts schlimmes. Fragen wir die Direktion. Hierentlang. Belinda kann in ihrem Gesicht Zuversicht anknipsen.

Wenn sie plötzlich angeschrien wird von Sally, die mal eine kleine PR-Maus ist und auf einmal eine böse Stasi-Tante, reißt sich Belinda zusammen. Es laufen auch sehr tüchtige Verwaltungsfachkräfte durch die Gänge, schmeißen Türen, daß es hallt, sind zunächst immerhin korrekt und lächeln offensiv, zeigen aber bei Annäherung ihr zweites Gesicht, und das ist der blanke Terror. Einmal schauen sie um eine Ecke und ihre Gesichter werden von unten angestrahlt, da sehen sie sehr diabolisch aus.

Klaustrophobisch Veranlagte müssen nur einmal tief durchatmen: als die Eingangstür plötzlich verschlossen ist und Belinda an unserer Stelle ein bißchen ausflippt. Sie fängt sich mühsam, wird aber dann verhört, verhaspelt sich, als es um ihre Identität geht, und ist schon schizophren. Weg ist sie, die Quälgeister auch, wir sind allein. Plötzlich geht die Eingangstür auf. Wir könnten raus und unserer Wege gehen. Aber wir bleiben lieber noch etwas zusammen.

Was in „Rocksolid – Bombensicher“ passiert, weiß niemand im Voraus. Das Stück, das erste der neugegründeten Speakeasy-Company, kam in London erstmals auf die Bühne. Die hiesige Premiere ließ das Publikum am Schluß eingesperrt, was sicherlich die Dichte erhöhte. Jede Aufführung ist anders, denn das Publikum spielt mit und wird verändert. Das ist gut.

Das in Bremen von Jürgen Müller Ohtzen (Ex-“Freiraum“) produzierte Stück ist eigentlich belanglos und schwankt zwischen Farce und Alptraum. Doch die vier Schauspielerinnen, die in London physical theater gelernt haben und mit astreiner Stimme und perfekter Choreographie auftreten, tragen uns durch das Stündchen existenzieller Erfahrung. Sie sind toll und heißen: Wiss Duncombe (Belinda, GB), Insa Popken (Sally, Bremen), Sung-Yeon Hong (Verwaltungsfachkraft, Korea) und Makiko Mikami (Verwaltungsfachkraft, Japan).

Übrigens haben die vier uns zu einer Frage verholfen: Warum, zum Teufel, halten wir das Leben selbst mit einer untauglichen Führerin immer noch besser aus als ganz allein? BuS

Weitere Aufführungen im Alten Landgericht an der Domsheide: Bis Sonntag tgl. 19 und 21 Uhr, Reservierung empfohlen unter 0421/7949744