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Hochburg der Mythomanie

Die Rolle der serbisch-orthodoxen Kirche war schon immer eher staatstragend. Im Jugoslawien nach Tito wurden ausgesprochen nationalistische Töne angeschlagen, besonders das Kosovo zur Schicksalsfrage und emotionalen Angelegenheit aller Serben stilisiert. Ein Wort des Erbarmens mit den Kosovo-Albanern war von den Kirchenmännern nie zu vernehmen.  ■ Von Klaus Buchenau

Ob es sich um Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft handelt – das serbische Volk kennt kein kostbareres Wort als das Wort ,Kosovo' (...). Das Serbentum (...) ist nicht das Brot, ist keine Schule, ist kein Staat – sondern der Kosovo, eine Gruft, die Gruft, in der alles begraben ist. (...) Die Tatsache, daß die Kosovo-Schlacht von 1389 bis heute andauert, bedeutet, daß sich das serbische Volk noch nicht ergeben hat, und darum ist der Kosovo bis zum heutigen Tag unser.“

Der Appell, den 21 serbisch-orthodoxe Priester und Mönche im April 1982 an die kommunistische Führung Jugoslawiens und Serbiens richteten, sagte es deutlich: Das Thema „Kosovo“ gehört nicht dem Verstand, sondern der Emotion, nicht der Analyse, sondern dem Eifer. Und vor allem gehört es nicht den Lebenden, sondern den Toten. Am wenigsten den lebenden Albanern, am meisten den toten Serben. Und die lebenden Serben zählte man gleich mit zu den Toten: Die Tatsache, daß seit dem Zweiten Weltkrieg über 100.000 Serben und Montenegriner das Kosovo verlassen hatten, um sich in wohlhabenderen (und weniger albanischen) Gegenden eine bessere Zukunft aufzubauen, wurde durch das mythische Prisma zum „Völkermord“. „Ohne alle Übertreibung kann man sagen, daß das serbische Volk im Kosovo einen langsamen, gut geplanten Genozid erleidet.“

Sechzehn Jahre später, im März 1998, steht einer der Unterzeichner des Appells, der inzwischen zum Kosovo-Bischof ernannte Mönch Artemije, vor dem US-Kongreß: „Wir bitten Sie zu verstehen, daß der Konflikt im Kosovo nicht zwischen dem serbischen und dem albanischen Volk stattfindet, sondern zwischen einem undemokratischen Regime auf der einen Seite und einem sezessionistischen Extremismus auf der anderen.“ – Was ist in der Zwischenzeit passiert mit der Serbischen Orthodoxen Kirche? Hat sie sich grundlegend geändert, ist sie von einer Hochburg der Mythomanie zur demokratiefördernden Instanz geworden? Oder hat sich nur die Sprache verändert, weil die Kirche begriffen hat, daß sie mit zur Schau gestelltem Nationalismus die westliche Welt nicht für ihre Sache einnehmen kann?

Der Appell von 1982, veröffentlicht in der serbischen Kirchenzeitung Pravoslavlje (Orthodoxie), schlug hohe Wellen in der jugoslawischen Öffentlichkeit. Denn die Auswanderung der Serben aus dem Kosovo war bis dato ein öffentliches Tabuthema gewesen. Die Serbisch-Orthodoxe Kirche war unter dem Patriarchen German, von 1958 bis 1989 im Amt, fast zur staatstragenden Kraft geworden, die höchstens hinter den Kulissen für ihre Klöster und ihr Volk im Kosovo intervenierte. Dabei hatte der Titoismus der Kirche kaum etwas Gutes getan. Viele junge serbische Theologen nahmen es ihrem Patriarchen insgeheim übel, daß er eine „gute Miene zum bösen Spiel“ machte. Manche fanden ein anderes Vorbild: Den Mönch Justin Popovic, den die Kommunisten schon 1948 wegen seiner Unbeugsamkeit in ein zentralserbisches Kloster verbannt hatten. Vater Justin lehnte nicht nur die Kommunisten ab, sondern auch die moderne Welt schlechthin. Am rabiatesten fiel er über den Ursprung der verhaßten Moderne her – den Westen: Hier habe sich das Christentum in einen bloßen Humanismus verwandelt, habe sich der individualistische Mensch, anstatt zu Gott zu streben, selbst an die Stelle Gottes gesetzt.

Vier Studenten der Belgrader Theologischen Fakultät gerieten in den sechziger Jahren in den Bann Justins und wurden Mönche: Irinej, Atanasije, Amfilohije und der bereits genannte Artemije. Alle vier sollten 1982 zu den Unterzeichnern des „Appells“ gehören. In den achtziger Jahren, als das ideologische Vakuum in der jugoslawischen Gesellschaft immer spürbarer wurde, waren die vier Mönche bereits Theologieprofessoren. Der national aktivste, Atanasije, verband die antimodernen Lehren seiner Vorbilder mit dem Kosovo-Problem und verlangte den Schulterschluß der serbischen Intellektuellen in dieser „Schicksalsfrage“.

In ihrem berüchtigten Memorandum kam die Serbische Akademie der Wissenschaften 1986 solchen Forderung bereitwillig nach: Die Wissenschaftler verlangten für das Kosovo eine „politische Abrechnung“, die durch einen „revolutionären Kampf“ erfolgen solle. Die Ereignisse im Kosovo bewerteten sie als „offenen und totalen Krieg“, als „neofaschistische Aggression“, wobei die „wahre Abrechnung“ bisher unterblieben sei ...

Nun begann die Zeit, in der sich in Serbien alle mit allen prächtig verstanden. Manche Intellektuelle, die früher von den Kirchenleuten als „atheistisch“, „anational“ und „kosmopolitisch“ gescholten worden waren, wurden freie Mitarbeiter der Kirchenpresse. Der Schriftsteller Milan Komnenic nutzte 1988 den bischöflichen Segen des Blattes Stimme der Kirche, um seine kosovoalbanischen Kollegen zu beleidigen: „Vielleicht glaubt ihr, daß ihr euch mit Gewalt unter die Kulturvölker einreihen könnt. Wir sind dagegen sicher, daß das nicht möglich ist. Wir haben eine Spur des Geistes und nicht diejenige blutrünstiger Bestien hinterlassen. (...) Ihr lebt seit alters her zwischen den beiden größten europäischen Zivilisationen, der griechischen im Osten und der römischen im Westen. Mißtrauisch gegenüber allem, was nicht euer ist, blind und taub, habt ihr von euren klugen Nachbarn nicht viel übernommen.“ Wenig später wendete die serbische Kirchenpresse ihre Aufmerksamkeit den Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina zu – mit einer ähnlich maßlosen Kampagne. Während des folgenden Krieges verurteilten die serbischen Bischöfe die „Gewalt auf allen Seiten“. Aber gleichzeitig meinten sie, die kroatischen wie die bosnischen Serben hätten ein Recht auf Anschluß an Serbien.

Vor allem gelang es vielen in der Kirche nicht, ihre tiefsitzende Abneigung gegenüber dem Islam zu verbergen, die die Balkan-Christen während der 500jährigen Osmanenherrschaft kultiviert hatten. Denn wer nach der türkischen Eroberung zum Islam übertrat, genoß im Osmanischen Reich eine privilegierte Stellung gegenüber den Christen: ein typisches Verrätermotiv. Mitte 1990 entfuhr es der serbischen Bischofsversammlung: Die „poturen“, die islamisierten Balkanbewohner, hätten sich ihrer selbst entfremdet, hätten „den Glauben für ein Abendessen, die Vernunft für den Wahnsinn verkauft“. Der bosnische Serbenführer Radovan Karadic konnte sich also von den Bischöfen unterstützt fühlen, als er 1995 meinte, die wenigen Muslime, die sich immer noch als Serben sehen, sollten nun endlich zur Orthodoxie bekehrt werden.

Zu dieser Zeit war es mit der serbischen Einigkeit längst vorbei. Stattdessen stritten sich die stärksten Fraktionen darum, wer das Serbentum am besten verteidige. Die Kirche war gespalten: Während Patriarch Pavle und die Bischöfe im inneren Serbien weiterhin bereit waren, mit Miloevic zu sprechen, attackierten ihn die Bischöfe in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Sie warfen ihm vor, Kriege angezettelt zu haben, ohne das versprochene Großserbien zu schaffen. Drei der Popovic-Schüler, die inzwischen zu Bischöfen geweihten Atanasije, Amfilohije und Artemije, bildeten noch einmal die Speerspitze der kirchlichen Antiregimebewegung. Am 20. Mai 1995 trafen sie sich im Kosovo-Kloster Gracanica mit fünfzig Exponenten des rechtsextremen Flügels, unter denen auch Radovan Karadic und der Belgrader Radikalenführer Vojislav eelj waren. Gemeinsam hoben sie den „Nationalrat zur Förderung der Anliegen der Kosovo-Serben“ aus der Taufe. Eines der Anliegen des Nationalrats: die Aussiedlung von 670.000 Albanern.

Schon Anfang der neunziger Jahre waren solche Horrorpläne in der serbischen Öffentlichkeit aufgetaucht, sogar in der Zeitschrift des Belgrader Patriarchats. Doch die gemeinsame Sorge um das Schicksal der Kosovo-Serben erwies sich nicht als solide Plattform für ein politisches Bündnis. eelj entschied sich, gemeinsame Sache mit Miloevic zu machen, und als 1998 der Kampf zwischen der UÇK und der serbischen Polizei in die heiße Phase ging, deckte er die brutale Linie Belgrads. Artemije beobachtete dagegen vor Ort, wie Miloevics Vertreibungspolitik das serbisch-albanische Verhältnis vollends verdarb und lenkte ein. Im März 1998 stellte er sich vor den US-Kongreß und beeindruckte seine Zuhörer durch demokratisches Vokabular, daß er offensichtlich bei seinem persönlichen Sekretär, dem durch seine Internetseiten bekannt gewordenen „Cybermonk“ Sava, entliehen hatte. Im Kosovo-Konflikt gehe es „nicht um das Territorium, sondern um die Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten“, meinte Artemije nun.

Dennoch wollte er auf jeden Fall eine Verselbständigung der Kosovo-Albaner vermeiden. Das Abkommen zwischen Miloevic und Holbrooke vom Oktober 1998 kritisierte er, ganz serbischer Nationalist, als „Aufgabe der serbischen Souveränität im Kosovo“. Und der Kantonisierungsplan, den die Serbische Kirche in Rambouillet einbringen wollte, sah vor, dreißig bis fünfzig Prozent des Kosovo unter serbische Verwaltung zu bringen. Daneben sollten die Serben ein Vetorecht in allen Stadtparlamenten erhalten – happige Forderungen für eine Gruppe, die nur zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht. Doch Miloevic ließ Artemije und die Kosovo-Serben ohnehin außen vor, als die Verhandlungen begannen. Die Belgrader Variante der „Verteidigung des Serbentums“ hatte sich durchgesetzt ...

Klaus Buchenau, 31, lebt in Berlin und promoviert zu „Kirchenfragen im Titojugoslawien“

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