: Elchtest-Nachhilfe für die Werbestadt Berlin
■ Krise als Chance: Auf einem Kongreß sucht der studentische Werbenachwuchs kreative Lösungen
Als „Werbestadt“ gilt Berlin noch nicht. Die laut Branchenblatt Horizont „zehn kreativsten Agenturen 1998“ kommen aus Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, München. In einem entscheidenden Punkt jedoch hat Berlin bereits die Nase vorn: Der alljährliche Werbekongreß gilt mittlerweile als wichtigste Veranstaltung fürs Rekrutieren von Nachwuchs.
„Werber treffen solche, die es werden wollen“, heißt es folglich für die heutige Kontaktmesse. Von BBDO bis Scholz & Friends sind die Branchengrößen mit Umsätzen jenseits der 100 Millionen Mark allesamt vertreten. Der große Visitenkartentausch kann beginnen, denn auch an Arbeitsuchenden wird es nicht mangeln.
Mehr als 500 Bewerbungen hätten sie dieses Jahr erhalten, berichtet Carsten Behrendt vom Veranstalterverein „Kommunikationsforum“. Eingeladen wurden schließlich nur etwa 300 Studierende, um die Arbeitsgruppen klein zu halten. In Workshops galt es gestern, „kreative Wege aus der Krise“ zu finden. Die Aufgabe: eine Kampagne entwickeln für eine Bank, die vom „Jahr-2000-Problem“ erwischt wird. Das Szenario: Ein Vorstandsmitglied tritt wegen der drohenden Computerprobleme zurück – und draußen fordern Demonstranten die Kunden auf, vorsichtshalber all ihr Geld abzuheben.
Die Kampagne für die Bank in der Krise mußten die Workshop-Teilnehmer unter Zeitdruck erstellen, unter den Augen der Betreuer aus den 26 teilnehmenden Werbeagenturen – und dafür zahlten die Studis auch noch 160 Mark pro Kopf.
Während die Aufgabe der Studenten eine fiktive Krise betraf, bietet die Wirklichkeit für Werber Krisen zur Genüge. Wie gerufen kam der Cola-Skandal für das diesjährige Thema des Werbekongresses „Krisengeschüttelt – nicht gerührt?“. Wie Werbung mit Krisen umgehen kann, erläuterten Praktiker am Beispiel der A-Klasse: Nach dem spektakulären „Elchtest“ und technischen Nachbesserungen startete Mercedes eine neue Kampagne. Darin erteilte Testfahrer Niki Lauda der neuen A-Klasse die Absolution, und mit Boris Becker versicherte der Hersteller, „aus Rückschlägen oft mehr gelernt“ zu haben als aus Erfolgen. Die Sympathiewerte stiegen, und letztlich habe man auch noch gespart, hieß es. Für die Bekanntheit des Produkts waren nach dem Elchtest-Aufruhr wahrlich keine neuen Anstrengungen nötig. Berlin hingegen braucht Initiativen wie den Werbekongreß oder das Creative-Village-Praktikum, um sich als Werbestandort zu etablieren. Marc Ermer ‚/B‘Kontaktmesse im HdK-Konzertsaal an der Hardenbergstraße von 10 bis 17 Uhr, Eintritt 40 (ermäßigt 20) Mark. Gratis: die Vorstellung der Workshop-Ergebnisse ab 17.30 Uhr. Öffentlicher Abschlußball ab 23 Uhr auf dem Viktoriagelände (vormals Schultheiss-Brauerei), an der Methfesselstraße, Eintritt 15 Mark.
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