: Staub und Selbstbewußtsein
■ Der Franzose Roger Planchon bringt Molière auf die Bühne, das Cameri Theater aus Tel Aviv interpretiert die Bücher Mose
Auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters ein Hauch von Großem Zapfenstreich. Die Signalgeber eröffneten am Freitag abend das Festival Theater der Welt. Realuniformierte Berliner Polizei fertigte indessen im Hintergrund dunkle Wagenkolonnen ab, denen nach und nach die Ehrengäste des Abends entstiegen.
Es war der Blick zurück auf das Alte, der diesen Abend beherrschte. Man sprach von vergangenen Festivals, von Trümmerfrauen und Blockade. Der französische Botschafter ließ wissen, er habe sich mit Erlaubnis von Président Chirac und Bundeskanzler Kohl vom Kölner Gipfel entfernt, obwohl der Bundeskanzler längst Schröder heißt. Hoch über den Eröffnungsrednern, die nach und nach vor den Vorhang des Deutschen Theaters traten, schwebte der Geist des verstorbenen August Everding, dem langjährigen Präsidenten des Internationalen Theaterinstituts, Veranstalter des Festivals.
Als sich dann der Vorhang für Roger Planchons ThéÛtre National Populaire hob und deren Interpretation von Molières „Der Geizige“, blickte man auf den Staub von vierhundert Jahren europäischer Theatergeschichte, wie ihn mit diesem Selbstbewußtsein nur ein französisches Theater aufwirbeln kann. Die Szenerie hätte von Rembrandt stammen können (statt von TNP Bühnenbildner Thierry Leproust). Die Kostüme (Emmanuel Peduzzi) waren historisch, die Spielweise burlesk, in der Titelrolle Regisseur Planchon selbst. Doch aus dem, was sich auf dem ersten Blick als Historienschinken präsentierte, schälte sich nach und nach das immergültige Drama um die Frage „Geld oder Leben“ heraus.
Es war nicht der geizige Hapargon, der diese Frage einer von ihm und seinem Geld abhängigen jungen Generation aufzwang, sondern gerade umgekehrt. Denn diese junge Generation hat sich längst fürs Geld entschieden. Sohn Cléante (Farouk Bermouga) ist eitel und hat den Blick nur auf den Besitz des Vaters gerichtet. Tochter Élise (Véronique Sacri) liebt Valère (Thomas Cousseau), der auf dem Umweg über die Tochter ans Geld des Alten kommen will. Mariane schließlich, die zunächst dem goldstrotzend gewandeten Cléante verfiel, ist nicht abgeneigt, den reichen Harpagon selbst zum Mann zu nehmen. Den schwächt diese Aussicht ungemein, aber gegen die Gier der anderen kann nur sein Geiz gewinnen. So sitzt er am Ende mit seinem Geld allein: ein alter Jammerlappen. Das Publikum schaute betreten auf die altehrwürdige Dekoration, in der Planchon die Menschen von heute versteckt hatte, und applaudierte zunächst ziemlich verhalten.
Bei der Frage, was denn jüdische Kultur in Israel nach einer Unterbrechung von 2.000 Jahren sein könnte, ist Rina Yerushalmi, Leiterin des Itim Ensembles am Cameri-Theater/Tel Aviv auf deren allerersten Text gestoßen: die fünf Bücher Mose. Die ersten beiden Teile des Bibelprojekts, „Va Yomer. Va Yelech“ (Und er sprach. Und er ging.), waren die andere Eröffnungspremiere des Festivals, die in der Arena stattfand.
Es beginnt als Begegnung mit der wunderbaren Sprache des Alten Testaments, die Rina Yerushalmi so behandelt wie die Comédie Française die Sprache von Racine oder Molière. Nur der Rahmen orientiert sich eher an Formen des japanischenTheaters, das seine Wirkung aus einer stark stilisierten Sprache und Bewegung nimmt. Schwarz gekleidete Schauspieler durchschreiten fast deklamierend ein raumgreifendes weißes Rechteck. Erst nach und nach ergreifen die Worte auch die Körper ihrer Sprecher. Gesichter verziehen sich, Münder öffnen sich zum Schrei. Körper krümmen sich.
Mit Entsetzen werden archaische Gesetze vorgetragen, intolerant und grausam. Manche der Texte werden als Showeinlagen präsentiert, biblische Geschichten wie antike Mythen erzählt. Gesummte Gesänge, manchmal eine einzelne Geige, dann wieder stark phrasierter chorischer Sprechgesang schaffen eine sehr dichte Athmosphäre, und die vier Stunden, die der Abend dauert, sitzt man doch relativ gebannt da: auch faziniert von einem Dutzend hervorragender Schauspieler.
Esther Slevogt ‚/B‘ „Der Geizige“, noch bis 22. 6. im Deutschen Theater, 20 Uhr
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