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Hurri, hurra, Hurricane!

■ Was Schlafmützen beim Hurricane-Festival this weekend zwecks Ausver-kauf alles verpassen werden. Der verbale Sadismus eines Blumfeldfans

Wieder mal zu spät, liebe Leserin, wenn Sie jetzt noch überlegen, ihren Süßen samt Schlafsack, Sixpack und Sonnenmilch in den Wagen zu werfen und ihn am Wochenende über die A1 gen Eichenring nach Scheeßel zu karren, um dort den musikalischen HeldInnen unserer Zeit Tribut zu zollen oder fauliges Obst auf „Blumfeld“ zu werfen. Beim Hurricane-Festival geht garnüscht mehr, auch wenn der altkluge Schwager später behaupten wird, daß doch noch –ne Karte zu erhaschen war.

Zum illegitimen Einsatz einer Drahtschere könnte allerdings das überaus grandiose Line-Up verleiten. Für den Samstag etwa konnte jenes Wesen verpflichtet werden, das die amerikanischen Kids derzeit verdirbt wie kein anderes, eine Type mit ungesunden Gesichtsfarben und Ansichten: „Marylin Manson“, halb Mensch, halb Gestalt, eine Synthese aus drei Alice Coopers, die man fest zusamengeschnürt und mit einer dicken Schicht Latex überbacken hat bis auch der letzte Käppchenträger hinter der Monster-Show den Leibhaftigen vermuten muß.

Tanktop-Girl „Skunk Anansie“ ist ebenfalls mit ihrer Band am Start und damit schließt sich nahtlos eine Lücke zwischen dem, was auch der Tankwart von nebenan im Walkman hat und dem, was sich noch immer mit dem Ballast eines gutgemeinten Independent-Gedankens rumschlägt. Aus Deutschland allen voran natürlich „die Fantastischen Vier“, deren Karriere aber bestenfalls als ungewöhnlich zu bezeichnen ist (jüngst überfielen sie hosenmäßig mit Handycams das SAT1-Frühstücksfernsehen und können jetzt einen teuren Polizeieinsatz bezahlen). Auch „Guano Apes“ sind wieder da. Ihre Form von Funsport: vom Bühnenrand springen und T-Shirts zerreißen. „Liquido“ wird der unerträglichen L/Seichtigkeit des Popseins makellos schöne Melodien abringen. Und die ebenfalls deutschen „Miles“ beweisen, daß es ein besseres Leben nach dem frühverrenteten Westernhagen und Wolfi „Nato alaaf“ Niedecken gibt. Natürlich dürfen „Blumfeld“ nicht fehlen, wenn die neue Platte auch eher Lust macht, Jochen „könnte ich bitte ein Glas Wasser haben“ Diestelmeyer für diesen „Ein Herz für Gymnasiasten“-Kitsch therapeutisch auf's Maul zu boxen.

Ansonsten wird die Bühne u.a. von „Pavement“ bestiegen, die den Ruf eines Geheimtips wohl nie mehr loswerden und auch in zehn Jahren noch als solcher im „Musik-Express“ auftauchen werden. „Faithless“ kommen wahrscheinlich ohne Sabrina aber mit dem Superhit „Tonight, God is a DJ“, der uns schon durch viele Nächte als treuer Freund begleitet hat wie einst „Bloody Sunday“ in den 80ern. Freuen muß man sich vor allem aber auf die großen, ehrwürdigen, erhabenen, über allen anderen Popeln stehenden „Motorpsycho“ aus Skandinavien. Wenn man auch noch „Live“, „Catatonia“, „The Goo Goo Dolls“, „Him“, „Queens of the Stone Age“, „Calexico“, „Stone Age“ und die lustigen „Ich-Zwerg“ überstanden hat, kann man dann den Sonntag erstmal mit Bungee-Jumping, Catapulting, Matsch-Rafting, S-Bahn-Surfen und dem Analysieren der Details von „Blumfeld“-Texten verbringen (Tip! Platten rückwärts hören und es erscheint die diabolische Nachricht eines Deutschlehrers der Sekundarstufe II).

Dann wird sich der edle Duft Tausender Dosen von Eier-Ravioli vermischen mit den Klängen von „Wunder“, „Everlast“, „Built to Spill“, „Muse“, „Bush“, „Placebo“, „Deus“, „Tin Star“ oder „Eat no Fish“. Auch die famosen „Stereolab“ spielen am Sonntag und es gibt ein Wiedersehen mit den, bei solchen Gelegenheiten unschlagbaren, „Hellacopters“, von denen man hoffen kann, daß sie im selben Backstage-Zelt wie „Blumfeld“ untergebracht werden (“O.K., you Heulsuse, now I'm gonna make you drink ten bottles of Vodka!“). „Blur“ werden der untergehenden Sonne entgegenspielen und dann wird es Zeit sein für „Hole“, die Rockband einer Frau, die von der Vogelfutterpresse stets mit ihrem nichtsnutzigen Junkie-Mann in Verbindung gebracht wird. Als wäre „Live though this“ von „Hole“ nicht das beste Rockalbum der 90er! Als hätte hingegen Nirvana nicht geklungen wie der Pullunder von Diestelmüller.

Die „Chemical Brothers“ und die schier unfaßbar coolen „Massive Attack“ werden schließlich gen Ende eine Stimmung auslösen, die „Blumfeld“ an ihrem Küchentisch nicht einmal zu erahnen wagen. Sonntagnacht wird der Blick über das weite, hoffnungslos versiffte Gelände schweifen, im Magen wird es wieder kitzeln und wir werden wissen, daß es an uns allen ist, gemeinsam zu verhindern, daß „Blumfeld“ irgendwann ein Konzeptalbum aufzunehmen, das uns Techno mit Adorno erklären will. Könnte dieser Diestelhuber nicht zum Theater gehen wie Blixa Bargeld oder sich einfach mal eine ordentlich Lederjacke kaufen wie andere Leute auch?

Tommy „ihr habt alle Abitur“ Blank

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