Seitensprünge mit Saitensprüngen

■ Das „Saitensprünge“-Festival von Radio Bremen ist zuende gegangen

„Saitensprünge“ – das ist an sich schon ein pfiffiger Titel. Noch schöner ist es, wenn die Doppeldeutigkeit inhaltlich auch eingehalten wird. Solches ist in der Regel garantiert, denn die Redakteurin für Neue Musik von Radio Bremen, Marita Emigholz, liebt die Grenzgänger, die Seitensprünge, die Ortung zwischen Komposition und Improvisation.

Nun war an fünf Tagen Saitenmusik zu hören, aber eben nicht Streichquartett u.ä., sondern neben Cello und Gitarre Facetten der ganz tiefen Streicher und des japanischen traditionellen Instrumentes Koto. Das Koto – ein ovaler Resonanzkörper mit längs gezogenen Saiten – ist eins der wichtigsten Instrumente Japans, es avancierte im 19. Jahrhundert zu einer Art Hausmusikinstrument. Die Musik, die für das Koto geschrieben wurde, zeichnete sich mehr als andere durch westliche Einflüsse aus. Davon war auch in den Konzerten noch etwas zu merken: Im ersten Konzert verstärkte Miya Masaoka ihr Instrument elektronisch, im vorletzten Konzert trat im Sendesaal von Radio Bremen die phänomenale Kazue Sawai auf.

Es war nichts weniger als atemberaubend, wie die zierliche Frau mit unglaublicher Kraft die Saiten bearbeitete. Wie ein sprungbereiter Tiger lauert sie hinter ihrem Instrument, entlockt ihm zartestes Zirpen, aggressive Arpeggien, dunkel getönte Melodien. Weitere Klang-spektren erreichte sie, in dem sie neben ihren Händen zur Klangerzeugung auch Holzschlägel und Gläser einsetzte. Sie alleine wäre schon ein Ereignis gewesen, doch einiges trug auch die urige französische Kontrabassistin Joelle Léandre bei. Die Improvisationen wirkten etwas einseitig, denn Sawai schaute kaum auf, beschäftigte sich höchstens hörend mit den irrisierenden und turbulenten Passagen Léandres, die ihrerseits ihre Partnerin nicht aus den Augen ließ. Das klangliche Ergebnis war aufregend, bot eine Vielfalt von vorsichtigem Klangtasten bis zum vollen Fortissimo beider Instrumente, die eine ganze Menge gemeinsam haben.

In seiner 1845 erschienenen Instrumentationslehre schreibt Hector Berlioz, er habe einen Kontrabassisten gehört, der „sehr eigentümliche hohe Töne, Töne von unglaublicher Kraft erzielte“, indem er „die hohe Saite, statt sie auf das Griffbrett aufzudrücken, zwischen den Daumen und Zeigefinger der linken Hand festklemmte und nah an den Steg herandrückte“. Berlioz nannte auch die „ausgezeichnete dramatische Wirkung“ eines anhaltenden Tremolos. Es war die reine Lust, diese ganzen Kontrabass-Effekte, die sich bis heute um ein vielfaches erweitert haben und neben Joelle Léandre zum Beispiel von Barry Guy und Stefano Scodanibbio in nicht endenwollender Innovation erfunden werden, nicht von einem, sondern von sechsen zu hören: das Ensemble Sondarc spielt in der Städtischen Galerie Musik im Raum. Mit der souveränen Handhabung aller möglichen Techniken für alle möglichen Geräusche bis zur Nichtwiedererkennbarkeit des spezifischen Kontrabass-Tones wartete das Sextett auf und erreichte ein erregendes Klangergebnis. Schade, daß die Aufstellung der sechs Musiker um das Publikum herum nicht noch ein Mehr an Klangwanderungen brachte, die Musiker beschränkten sich weitgehend darauf, sich die Motive sozusagen hin- und herzuschmeißen oder gemeinsam einen Orkan zu erzeugen. Unvergeßlich die Stelle, an der sich ein gewaltiger tiefer Ton – von allen sechsen als Tremolo gespielt – fast körperhaft nach oben zieht. Daß dieses Konzert der krönende Abschluß des Festivals war, meint mehr als eine Floskel Ute Schalz-Laurenze