: Igel mit Hang zum Feiern
Wie man auch mit Branntweinaugen und Schmerbauch zum Kinderstar werden kann. Das Heimatmuseum Charlottenburg würdigt den „Redaktionsigel“ Mecki ■ Von Jenni Zylka
Eigentlich sah der Igel schon immer aus wie fünfzig. Ein Kuscheltierchen war der Schmerbauchträger nie, und dem Kindchenschema wurden die tränensackuntermalten Augen im faltigen Gesicht auch nicht gerecht.
Eine Erwachsenen-Tierfigur mit väterlich-schlaumeierischem Charme, das hatten die drei Diehl-Brüder aus München im Sinn, die in den Dreißigern eine kleine Puppenfilmproduktion aus dem Boden gestampft hatten. Sie orientierten sich bei der Gestaltung des freundlichen Alkoholikers an der Fabelfigur aus dem klassischen Märchen „Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel“, das in abgewandelter Form (Hirsch und Igel, Hase und Schildkröte) bis ins zweite Jahrtausend vor Christus zurückreicht. Der Igel taucht als Holzschnitt mit ziemlicher Mecki-Ähnlichkeit 1853 bei Johan Peter Lyser auf, der ihn schon damals als die „Verkörperung eines niedersächsischen Kleinhäuslers, dem nichts über eine Buddel Branntwein geht“, charakterisiert. Dieser Hang zum Feiern wird dem Pfeifenraucher und Weintrinker bis heute nachgesagt.
In den Dreißigern drehten Paul, Hermann und Ferdinand Diehl im Auftrag der „Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (RfdU)“ Märchenfilme für Schulen und beeilten sich, im nachhinein die völlige Sachbezogenheit und die nicht auf Propaganda ausgerichtete Intention der Produktionen herauszustellen: „Kein politischer Schimmer“ sei in die Arbeit der drei Igelfans eingeflossen. Der später trotz naiver Fünfziger-Jahre-Rassismen in Sprache („Negerlein“) und Zeichnung als grundspießig, aber politisch korrekt geltende Igel besiegte den dummen Hasen erstmals animiert 1937, dann wirkte er in mehreren Filmen mit.
Der Igeldurchbruch, wenn man es mal so nennen kann, kam 1949: Der damalige Hörzu-Chefredakteur Eduard Rhein klaute den Igel für seine Fernsehzeitung und gab ihm seinen Namen, angelehnt an Micky (Maus), und „weil er ja meckern sollte“. „Das ist Mecki“, so lautete die Bildunterschrift zum aufrecht stehenden, Hosen und Joppe tragenden Igel, „merken Sie ihn sich gut!“ Man habe den Schöpfer und Inhaber der Rechte am Stacheltier leider nicht auffinden können, so Rhein damals, was um so verwunderlicher ist, weil auf jeder schwarzweißen Igel-Postkarte, die die Diehl-Brüder vertrieben, deutlich das „Diehl-Film“-Logo aufgedruckt war. Der Ideendiebstahl flog denn auch irgendwann auf, und die Diehl-Brüder einigten sich nach einem langwierigen Streit, bei dem die Hörzu nicht wenig zahlen mußte, schließlich mit der Programmzeitung. Die ließ den Medienigel fortan in ihren Cartoons ferne Abenteuer erleben.
Die Mecki-Bücher, die ihren Helden zusammen mit sieben Goldhamstern und dem Antihelden „Charly Pinguin“ zum Beispiel ins Schlaraffenland oder zu den Eskimos schickten, summierten noch einmal den neugierig-neunmalklugen Habitus des Igels.
Die Bücher sind keinesfalls geeignet, den Lesern fremde Kulturen nahezubringen oder zu erklären, geschweige denn zur pädagogischen Auseinandersetzung mit exotischen Themen. Aber so ein strunzdeutscher, aufrechter Igel kommt trotzdem an. „Er ist ein Sieger“, so erklärt das Erika Salomon, die den größten Teil der Charlottenburger Ausstellung als Leihgabe aus ihrer Privatsammlung gestellt hat. Bei ihr werde traditionell in der Familie „geigelt“ und Mecki habe ja auch „einen ausgleichenden Charakter, nicht feige, sondern selbstbewußt“.
Sie ist Mitglied in der seit 1981 existierenden Clubzeitung des Mecki-Fanclubs Stachelkopf, einer Sammlergazette erster Kajüte. Erwachsene Menschen mit einer Schwäche für Stacheln tauschen sich hier über Postkarten mit dicklich-gemütlichen Waldtieren aus, die zum Beispiel an einem Weinfaß lehnen und zur Bildunterschrift „Ohne Wein und Liebe ist das Leben trübe!“ das Glas heben.
Der Igel ist eben ein Gourmet, und diese meckitypische Mischung aus muffiger 50er Nostalgie, einfachen Wahrheiten und dem fast grotesken, aber unglaublich liebevollen Design der Puppen und ihrer Umgebung läßt ihn weitaus besser dastehen als die anderen, eher unsympathisch-deutschen Wohnzimmerkollegen wie den Gartenzwerg oder die Nippesfigur aus Porzellan.
Mit einem Nostalgieboom, den der Bayerische Rundfunk Mitte der 90er witterte, versuchte man, den gleichermaßen für Erwachsene wie für Kinder interessanten Igel 1996 in einer ARD-Zeichentrickserie wiederaufleben zu lassen. Die Ausstellung zeigt einige der Episoden; das übereinstimmende Urteil einiger junger KritikerInnen lautet aber vernichtend: „langweilig“. Interessanter sind da schon die Diehl-Fime aus den 30ern und 60ern, die ebenfalls im Museum zu sehen sind. Demnächst will der Hörzu-Redaktions-Igel sogar ins Internet. Vielleicht kann er sich so auch ins nächste Jahrtausend retten, gegönnt sei es ihm.
„50 Jahre Mecki – Geschichte eines Maskottchens“, bis 31. Juli, Heimatmuseum Charlottenburg, Schloßstraße 69, Di.–Fr. 10–17 Uhr, So. 11–17 Uhr
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