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Auf Maden tanzen

■ Eine Werkschau von Marina Abramovic und Studenten im Haus am Lützowplatz zeigt Arbeiten zu Haß, Ekel und Selbstüberwindung

Selten genug kommt es vor, daß eine Professorin ihre Studenten mit Macht an die Öffentlichkeit zerrt. Die Serbin Marina Abramovic, seit zwei Jahren an der Hochschule der Bildenden Künste (HBK) in Braunschweig, tut es. Gemeinsam mit ihrer 16köpfigen Seminargruppe installierte sie die Werkschau „unfinished business“ im Haus am Lützowplatz.

„Liebe und Haß, Ekel und Selbstüberwindung waren Seminarthemen“, erklärt Llúcia Mundet Palli. Die 22jährige berichtet von einer Videoaufnahme, bei der sie so lange auf Maden tanzte, bis bloß noch ein schmieriger Brei übrig war. Lachend schildert sie eine Performance, die ihr eine Alkoholvergiftung einbrachte und sie beinahe das Leben gekostet hätte. Zwei Beispiele, die zeigen, wie nahe der „Lehrling“ dem „Meister“ ist. Marina Abramovic sorgt seit den 70er Jahren mit Aktionen für Furore. Sie schnitt sich in die Haut, verbrannte ihr Haar, schlug sich auf offener Bühne mit ihrem früheren Partner Ulay so lange, bis sie nicht mehr konnten. Vor zwei Jahren verlieh ihr die Biennale in Venedig den „Goldenen Löwen“ – bei ihrer Performance „Balkan Baroque“ saß sie tagelang auf einem Berg Rinderknochen und schrubbte die Fleischreste ab.

Solche extremen Äußerungen traut man der 52jährigen Künstlerin kaum zu. Sie verkörpert auf den ersten Blick existentialistische Klischees: Das lange schwarze Haar trägt sie streng gescheitelt zum schwarzen Kostüm. Und auch ihre Kunst dreht sich immer wieder um die philosophische Tiefe der Existenz. In ihrem Ausstellungspart kann sich der Besucher auf eine Fixierbank schnüren lassen und, mit Kopfhörern von der Welt abgeschottet, die eigene Befangenheit durchleiden.

Llúcia Mundet Palli bringt zwei Wandbilder in die Werkschau ein. Wie viele ihrer KommilitonInnen hat sie Info-Hefte ausgebreitet, die ihre Arbeiten dokumentieren. Dabei zeigt sich, daß ihr Arbeitsort schon lange nicht mehr nur das Atelier ist. Ein Selbstporträt, verarbeitet als Videoinstallation, präsentierte sie im städtischen Krankenhaus. Verkleidet als Krankenschwester, schob sie einen Rollwagen mit Bildschirm durch die Flure. Sie wollte den von Schmerz Gequälten Trost geben – mit einem sanften Lächeln aus dem Monitor. Dirk Engelhardt Holger Klemm

Bis 4. Juli, Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9 (Videovorführung von Ruth Hutter am 26. 6.)

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