piwik no script img

Nivea international

Heute öffnet in Berlin das erste Museum Europäischer Kulturen. Alles andere als ein Hort nationaler Zombies  ■   Von Rolf Lautenschläger

Nur zwei Quadratmeter benötigte die Abteilung „Europa“ des Berliner Völkerkundemuseums. Der große Schrank aus deutscher Eiche faßte eine nordländische Trommel, Kleidungsstücke aus Lappland, dazu gesellten sich ein paar Utensilien europäischer Völker. Mehr Europa sahen die Besucher des großen Museums nicht hinter den Glastüren. Der Kontinent blieb eine Marginalie im Gegensatz zu den Sammlungen aus der Südsee, aus Ostasien oder dem Islam, die in vielen Expeditionen seit der Zeit Alexander von Humboldts in Berlin zusammengetragen worden waren.

Der Schrank „Europa“ gehört zu den Ausstellungsstücken des neuen „Museums Europäischer Kulturen“, das heute in Dahlem eröffnet wird und sich mit dem Exponat aus den Vorkriegstagen in ironische Distanz zum Gewesenen begibt. Doch außer dem Zitat aus früheren Zeiten findet sich im neuen Haus nichts von der Konzeption deutscher oder europäischer Völker im bäuerlich-folkloristischen Outfit, die bis dato das Museum für Volkskunde und die europäische Abteilung im Museum für Völkerkunde beherbergten.

Mit der Eröffnungsschau „Kulturkontakte in Europa. Faszination Bild“ hat das Museum Europäischer Kulturen die Verbindungen zur eigenen Vergangenheit gekappt. Anhand des „europäischen Kulturphänomens Bild“ soll verdeutlicht werden, daß diese kulturellen und ästhetischen Formen, Techniken und Ausprägungen in der Geschichte Europas nicht unabhängig voneinander existierten. Gemälde, Motive und Drucke, Fotografie und Film bis hin zum digitalisierten Bild entstanden und existieren in Europa durch gegenseitige Beeinflussung. Ihre spezifische Ausprägung ab dem 15. Jahrhundert ist das Resultat gegenseitiger Einflüsse durch Handel, Reisen, Kommunikation und Konfrontation. „Wir haben uns für das Thema „Bild“ entschieden“, sagt die Leiterin des Museums, Erika Karasek, „weil gerade das Bild ein Symbol ist, die Überwindung von Ländergrenzen und die Verknüpfung von Kulturen zu vermitteln.“

Der Zusammenschluß der beiden Museen für Völkerkunde und Volkskunde samt Neuanschaffungen ethnologischer Exponate zu dem Museum Europäischer Kulturen bedeutet einen Neuanfang für die beiden eher muffigen Sammlungen der Staatlichen Museen in Dahlem: wissenschaftlich, konzeptionell und inszenatorisch. „In den vergangenen Jahren hat die Völkerkunde einen Wandel durchgemacht“, erklärt Erika Karasek. Die Volkskunde, in Zeiten der Nationalstaaten und besonders unter der Perspektive der Nazis ein chauvinistischer Hort völkischer Zombies und Kulturen, habe heute einen „anderen Stellenwert“, ebenso die Völkerkunde. Ausgestellt werden müßten, sagt Karasek, „Exponate der Sozialgeschichte, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte“ gemeinsamer europäischer Zivilisation. „Europa steckt heute in jedem“, lautet ihr Motto. „Nationale Beschränkungen kann es angesichts der Überschreitung europäischer Grenzen nicht mehr geben“.

Daß es die Leiterin mit ihrem Konzept der Grenzüberschreitung ernst meint, sieht man daran, daß sie auf den 2.000 Quadratmetern Fläche die Innenräume nicht nur für rund vier Millionen Mark hat ausbauen und von Künstlern gestalten lassen, sondern mit einem „modernen, thematischen und integrierten Konzept“ europäischer Kulturphänomene bestückt hat.

Das neue Museum bilde kein Ausstellungssammelsurium bestehender Sammlungen. Die Mehrzahl der 270.000 Stücke aus Trachten, Bildern, Handwerksarbeiten oder Volkskunst seien ins Depot gewandert. Man habe „richtig ausgeräumt“, so eine Kustodin, um das bisherige Konzept „zu durchbrechen“ und neue Wege der Präsentation zu gehen.“

Wer die neugebauten „Passagen“ entlang der frühen Bilder in Kirchen des 16. Jahrhunderts über Kunst in den Wohnzimmern (18. Jahrhundert) bis hin zu dem europäischen Motivschatz aus Bilderbögen in Rußland, Italien und Spanien im 19. Jahrhundert wandelt und schließlich in Galerien oder im Kinosaal der Neuzeit sowie in den Abteilungen Werbung oder „Orte der Bildrezeption“ endet, vermißt dennoch das Spezifische der Bilderwelten in der inszenierten Gemeinsamkeit. Daß etwa das Logo für „Nivea“ ein internationales wurde oder der Film zum Massenmedium, wird sinnlich erfahrbar. National unterschiedliche Ausprägungen oder Defizite, die Herstellung eines Industrieprodukts oder dessen Rezeption klärt die Schau weniger auf.

Sei's drum. Das neue Museum Europäischer Kulturen, das im einstigen Haus für Volkskunde untergebracht ist, bedeutet für den Kunststandort Dahlem einen Neuanfang, einen „Kick“, wie sich Erika Karasek ausdrückt. Durch die Konzentration der Kunstsammlungen auf der Museumsinsel und am Kulturforum hat Dahlem in den letzten Jahren rund 60 Prozent der Besucher (fast 300.000) verloren. Dahlem als Museenstandort zu erhalten, hält Stiftungssprecher Wolfgang Kahlcke zwar „für schwierig“, dennoch investiere die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in den kommenden Jahren 148 Millionen Mark in den Aufbau neuer Sammlungen, etwa für die Präsentation nordamerikanischer, ostasiatischer oder afrikanischer Kulturen. Wollte man das ironisch kommentieren, fiele einem ein: Exoten am exotischen Ort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen