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Daumenkino

■ Musterschüler

Keinem anderen als Stephen King verdankte es Salman Rushdie, daß seine „Satanischen Verse“ trotz Fatwa in Amerika erschienen. Die Drohung des Bestsellerautors, im Falle eines verlegerischen Zurückschreckens den Verlag zu wechseln, genügte.

Wie anhand seiner Bücher leicht zu erkennen ist, steckt in dem Horrorspezialisten King ein amerikanischer Liberaler, der in seinen Büchern stets auf gesellschaftspolitische Problemlagen – zuletzt etwa auf die Frage der Todesstrafe – reagiert. Die richtige Botschaft sucht er in seinen Thrillern als pragmatische Problemlösung gleich mit zu verkaufen. Daß sie eher humanistisch als politisch ausfällt, ist in Amerika nicht anders zu erwarten. Falls Stephen King dabei nicht gleich aufs Ganze geht, können aber gute Erzählungen und aus diesen sogar hervorragende Filme wie „Stand by Me“, „The Shawshank Redemption“ oder „Dolores“ entstehen.

Bei „Der Musterschüler“ und der Frage des Holocaust freilich scheint er aufs Ganze gegangen zu sein. Die Verfilmung von Bryan Singer legt diesen Verdacht jedenfalls nahe. Anstatt sich in die Geschichte einer gefährlichen jugendlichen Neugierde hineinzubohren, die bis zu einem tragischen Totschlag führt, geriert sich der Film als eine Studie über die Natur des Bösen schlechthin. Hier gilt: Nicht wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, sondern wer den Kontakt mit dem Bösen sucht, wird selbst infiziert.

Daher wirft Todd Bowen (Brad Renfro) am Ende den Basketball ganz cool in den Korb, nachdem er seinen Lehrer bedrohte, der dem FBI von der Verbindung zwischen dem gelehrigen Schüler Bowen und dessen Meister aus Deutschland berichten will. Und weil wir wissen, daß Bowen zuvor mit diesem Basketball eine verletzte Taube (!) im wahrsten Sinne abgeschossen hat, wissen wir auch: Der Gestapo-Mann und Lageraufseher Kurt Dussander (Ian McKellen) mag tot sein, doch das Böse lebt in Bowen fort.

So ist die Geschichte von dem Schuljungen, der in seiner Nachbarschaft einen international gesuchten Nazi-Kriegsverbrecher entdeckt und diesen mit der angedrohten Weitergabe der Information erpreßt, ihm die ekelhaftesten Details über den Holocaust zu liefern, am Ende eher eine Graf-Dracula-Erzählung denn die Auseinandersetzung mit der Frage, wie man sich als Nachgeborener zu diesem Jahrhundertverbrechen stellt. Ob man brav den Schulstoff lernt und nicht weiter fragt, oder ob man sich quält, weiterbohrt und gefährliche, verrückte Wege des Wissens zu gehen droht – einfach weil einen dieser Lernstoff verrückt machen muß.

Es könnte gut sein, daß King genau diese Frage interessierte. Bryan Singer (immerhin mit „The Usual Suspects“ zu berechtigtem Ruhm gekommen) hat sie in seinem Film aber nie gestellt. bw

„Der Musterschüler“. Regie: Bryan Singer. Mit Brad Renfro u. a., USA 1998, 112 Min.

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