: Rom, Politik und Bischöfe sind scheinverstanden
„Dieser Schein gilt nicht als Schein“ ist das Motto der katholischen Bischöfe für eine Lösung bei der Beratung von Schwangeren. Sie wollen im staatlichen Beratungssystem bleiben, ihre Scheine sollen aber beizumessen isausdrücklich nicht als Erlaubnis für eine Abtreibung gelten, wie das Gesetz es vorsieht. Die Politik will die vom Vatikan verordnete Trickserei der Oberhirten offenbar mitmachen ■ Von Bernhard Pötter
Berlin (taz) – Es war eine Lehrstunde in Dialektik, dem brillanten Mainzer Theologieprofessor Karl Lehmann angemessen: Einen Ausstieg der katholischen Kirche in Deutschland aus der Schwangerenkonfliktberatung werde es nicht geben, betonte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz gestern in Bonn. „Weit und breit kann keine Rede davon sein, daß nun keine Scheine mehr ausgestellt werden“, sagte Lehmann. Und schließlich: Der vomPapst diktierte Zusatz zu den Beratungsscheinen, der diese praktisch entwertet, habe die Bischöfe mehr in der Form und „weniger in der Sache gestört“.
Erst auf Nachfragen gestand der deutsche Oberhirt ein: Die Lösung, die die Bischöfe der 27 deutschen Bistümer in ihrer zweitägigen Klausur im Kloster Himmelpforten bei Würzburg gefunden haben, sei „in gewisser Weise eine Provokation“ und eine „letzte, ethisch orientierte Zuspitzung“. Denn die Bischöfe hatten unter Lehmanns Führung aus ihrer Sicht den Stein der Weisen gefunden und dafür die Grenzen des kirchenpolitischen Kompromisses weit gedehnt. Die Lösung soll die Kirche offiziell im staatlichen System der Schwangerenberatung belassen und gleichzeitig dem Willen des Papstes nachkommen, sich nicht in den Prozeß der Abtreibung einbinden zu lassen.
Wie das? Der „Beratungs- und Hilfeplan“, mit dem die Bischöfe im Februar in Lingen beschlossen haben, Frauen vor einer Abtreibung umfassende materielle und seelsorgerische Hilfen anzubieten, wird umgesetzt. Doch auf dem Schein, der die Beratung dokumentiert und vom Gesetz als Unterlage für eine straffreie Abtreibung gefordert wird, soll vermerkt werden, was der Papst den Deutschen in die Feder diktiert hat: „Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden.“
Souverän verkündete Lehmann den Beschluß, der den deutschen Katholiken eine drohende Zerreißprobe zwischen der Loyalität gegenüber Rom und gegenüber Bonn erspart. Die persönlichen Demütigungen durch die vatikanische Kurie schlugen sich immerhin in einem ganzen Absatz seines Statements nieder: Es sei „enttäuschend“, daß oft Sachgespräche mit den deutschen Bischöfen nicht zustande gekommen seien. Auch sei im Vatikan nicht erkennbar, „wie intensiv man sich mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe auseinandergesetzt hat“, die eine Lösung aus deutscher Sicht vorgeschlagen hatte.
„Wir bleiben in der Beratung“, so Lehmann, „Das ist die Endstation.“ Man erwarte keine Diskussion aus Rom mehr, „ich sehe keinen Dissens mit Kardinal Ratzinger“. Für Irritationen sorgte gestern nur noch der offizielle Kommentar des Vatikans zum Papstbrief. Dort heißt es, die Folge aus dem Schreiben werde sein, daß „die Kirche eine Konfliktberatung eigener Art anbietet und vom Weg des Gesetzgebers abweicht“. Vom Staat erwarten die Bischöfe nun, daß er die katholischen Formulierungskünste honoriert und trotz der offenen Bekundung, der Schein tauge nicht für die Abtreibung, die kirchlichen Beratungsstellen weiter finanziert. Ansonsten, drohte Bischof Lehmann, werde man sich bei einer „nicht gesetzeskonformen Benachteiligung überlegen, ob nicht der Rechtsweg beschritten“ werden müsse.
Die Rechnung der Bischöfe könnte aufgehen. Denn zwar kritisierte gestern der Deutsche Ärztinnen-Bund, die Kirche stehle sich aus der Verantwortung, und die interne Oppositiongruppe „Wir sind Kirche“ erklärte, der Zusatz sorge für Irritation und Verunsicherung der Frauen. Die Frage der Konfliktberatung sei „viel zu wichtig für formale Trickserein“, meinte ihr Sprecher Christian Weisner. Der Ärzteverband Hartmannbund schließlich warnte Ärzte davor, Abtreibungen aufgrund des neuen Scheins vorzunehmen: „Das wäre eine illegale Abtreibung“, hieß es.
Doch aus der Politik, die über die Akzeptanz des veränderten Scheins zu befinden hat, waren vor allem vorsichtige Töne zu hören. Bundesfrauenministerin Christine Bergmann kündigte an, man werde mit den Ländern prüfen, „ob sich rechtliche Konsequenzen aus dem Zusatz ergeben“. Zwei ihrer LänderkollegInnen waren da schon schneller: Die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) sagte, es sei „eine gute Botschaft“ für ratsuchende Frauen, daß die Kirchen im Beratungssystem bleiben wollten. Die Entscheidung dürfe nicht vorschnell als nicht ausreichend bewertet werden.
Einen großen Schritt auf die Kirchen zu ging auch der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Peter Caesar (FDP): Alles bleibe beim alten, denn die vatikanische Anordnung auf dem Schein sei für den Nachweis einer Beratung unerheblich: „Ob da noch so ein Zusatz draufsteht, muß den Arzt nicht interessieren und wird auch keinen Staatsanwalt interessieren“, sagte Caesar. Selten haben sich Bischöfe so darüber gefreut, wenn ihre Meinung ignoriert wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen