Wortreich wie Telefonsex

■ Beeindruckend, aber nicht ohne Nervpotential: Das „Theater Satyricon“ dramatisiert die „Venus im Pelz“ von Sacher-Masoch

Mit 16 Jahren begann Leopold von Sacher-Masoch ein Jura-Studium in Prag. Nur vier Jahre später, im Jahr 1856, wurde er Privatdozent für Geschichte an der Universität Graz. Wer weiß, vielleicht war für diese flotte Karriere die Stellung des Vaters als Polizeipräsident hilfreich. Noch allemal als politischen, klugen Kopf weisen Sacher-Masoch allerdings seine (literarische) Auseinandersetzung mit dem polnischen Aufstand gegen Österreich, sein offensives Eintreten für die Rechte der Juden und die Unterstützung von Bertha von Suttners „Gesellschaft für Friedensfreunde“ aus.

Heute dagegen ist er nichts als der Buchstabenspender für den vom Sexualforscher Krafft-Ebing 1886 entwickelten Begriff des Sadomasochismus – trotz Gilles Deleuzes (ja, ja die schmierig-schwülstigen Postmodernen) Versuch Anfang der 70er Jahre, den oft als zweitklassig geschmähten Autor zu rehabilitieren. Sacher-Masoch schrieb auch Geschichten etwa über die Judenghettos Galiziens. Doch die wurden links liegengelassen. Prächtig dagegen verdienten seine Verleger (ganz im Gegensatz zu ihm selbst) an den schwülen Erzählungen über so seltsame, neue, unausgesprochene Dinge wie das Vergnügen am Schmerz oder just an jenen Menschen, die den Liebeskranken verachten und gänzlich unerreichbar sind.

Doch times are gonna changing. Heute gibt es nichts Lustigeres als Sadomaso-Szenen in „Wahre Liebe“ oder „Liebe Sünde“. Wenn ein fetter Scheitelhaartyp mit Bräunungsstreifen, die ihn als Socken- und Shortsträger ausweisen, vor einer ältlichen Cellulitis-Lady in black japst und winselt, kommt man nicht umhin, von einer gewissen Diskrepanz zwischen äußerer Erscheinungs- und innerer Erlebniswelt zu sprechen, die entzückt. Ein harmloses Laster eben, ähnlich wie Zuckerwatteschlecken. Was einst als Abgrund galt, wird heute als sonderbarer Freizeitspaß wahrgenommen.

Dieser Tatbestand erschwert eine Inszenierung der „Venus im Pelz“. Zumal Regisseur Anatolij Leduchovskij ganz und gar auf etwas setzt, das es nicht (mehr) gibt: die Macht der Fantasie. Galina Zaborskaja (Wanda) und Benedikt Vermeer (Severin) sind schwarz zugekleidet, mit Ausnahme des Schlusses; aber da ist es schon zu spät. Kein Fleisch, keine Musik, keine magischen Bilder, nur Bistrostühle, zwei Spiegel, Gesichter. Soviel edler, altmodischer Reduktionismus verdient Anerkennung. Anstrengend ist er aber doch. Ja, und dann sind da noch Worte. Viele Worte. Ein nicht abreißen wollender Schwall von Worten. Fast wie beim Telefonsex. Der repetiert das immergleiche Warnen, Zurückschrecken, Drohen, Erschaudern. das heute kein Schwein mehr interessiert außer denen, die es selber gerne machen.

Weil aber Stimmen und Gesten überaus fein ausziseliert sind – auch wenn nicht bei jedem die erotisierende Wirkung von Wandas immerwährendem Fingerballett und Armgefuchtel ankommt – wirkt dieses Stück immerhin wie eine professionelle Etüde zur Schauspielkunst. Sie ist trotz Locken, Schreien, Flüstern fast so streng wie eine Domina. bk

Premiere: heute Kontorhaus (Schildstr. 21), 20h. Weitere Aufführungen am 26. und 27.Juni